Meinung

Warum es jetzt eine strategische europäische Rüstungspolitik braucht

Die russische Invasion in der Ukraine ist ein Einschnitt, der die europäische Sicherheitsordnung auf Jahrzehnte prägen wird. Die EU sollte deshalb jetzt ihre Rüstungsindustrie stärker vereinheitlichen. Das würde Europa auch außenpolitisch stärken.
von Lucas Hellemeier · 21. April 2023
Politisch müssen jetzt die Weichen gestellt werden, die es den Europäer*innen ermöglichen, die materiellen Grundlagen zur Sicherung und Verteidigung einer zukünftigen Ordnung zu produzieren.
Politisch müssen jetzt die Weichen gestellt werden, die es den Europäer*innen ermöglichen, die materiellen Grundlagen zur Sicherung und Verteidigung einer zukünftigen Ordnung zu produzieren.

Die Europäische Kommission hat im Zuge der großflächigen russischen Invasion der Ukraine Instrumente angekündigt, um dem plötzlichen Anstieg der Nachfrage nach militärischen Gütern zu begegnen. So zum Beispiel  EDIRPA (European defence industry reinforcement through common procurement act): Die mit 500 Millionen Euro ausgestattete Initiative soll die Beschaffung von Verteidigungsgütern unterstützen, an denen mindestens drei Mitgliedstaaten beteiligt sind, und die administrativen und technischen Kosten gemeinsamer Beschaffungsverfahren decken.

Seit dem 24. Februar wird außerdem auf die sogenannte Europäische Friedensfazilität (EPF) zurückgegriffen, die ursprünglich geschaffen wurde, um die Mitgliedstaaten bei der Bereitstellung von Militärhilfe und Kriegsmaterial für Nicht-EU-Länder zu unterstützen. Ein weiterer Durchbruch gelang im März 2023 mit der Unterzeichnung einer von der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) geleiteten Initiative zur gemeinsamen Beschaffung von 155-mm-Artilleriemunition, dem von der Kiewer Armee am häufigsten verwendeten NATO-Standardkaliber.

Die Beschaffung der Mitgliedsstaaten koordinieren

Diese Entwicklungen sind zu begrüßen, allerdings vergrößern sie die institutionelle Unübersichtlichkeit. Es ist noch unklar, ob und wie EDIRPA im Einklang mit der EPF arbeiten wird. Zusätzlich ist noch abzuwarten, ob diese Initiativen, die mit nicht unerheblichen Kosten für den europäischen Haushalt verbunden sind, Auswirkungen auf bestehende Initiativen wie den Europäischen Verteidigungsfonds haben werden. 

Diese Neuerungen greifen hauptsächlich auf Seite der Nachfrage ein. Es handelt sich um Versuche, die Beschaffungsprioritäten der Mitgliedstaaten zu koordinieren und  eine weitere Zersplitterung des europäischen Verteidigungsmarkts zu vermeiden. Aber solche Initiativen leisten sehr wenig in Bezug auf einer Konsolidierung des Angebots. Die nationalen Regierungen priorisierten den Erhalt nationaler industrieller Fähigkeiten und unterstrichen somit das Gesamtbild der europäischen Rüstungsindustrie, die trotz der damit einhergehenden ökonomischen Ineffizienz in separaten Silos agiert .

Beispielsweise führt der südkoreanisch-polnische Panzerdeal zu einer weiteren Fragmentierung. Polen beschafft zunächst 120 Stück des K2-Kampfpanzers aus südkoreanischer Produktion, während gleichzeitig eine Fertigungslinie in Polen errichtet wird, die weitere 800 Stück für die polnischen Streitkräfte produzieren soll. 

Eine transatlantische Allianz auf Augenhöhe

Eine effektive Konsolidierung der Angebotsseite hätte zur Folge, dass einige Staaten gewisse industrielle Fähigkeiten verlieren. Eine effektive Konsolidierung würde des Weiteren den Exportdruck der europäischen Rüstungsindustrie allerdings mindern und Europa als außenpolitischen Akteur stärken, da Rüstungsexporte stärker nach politischen anstelle von wirtschaftlichen Maßgaben genehmigt werden könnten.

Die Rolle von EDF sollte daher auch in Hinblick auf die künftigen Produktionskapazitäten nicht unterschätzt werden. Der EPF ist ein wichtiges Instrument zur Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, das eine stärkere transnationale Zusammenarbeit zwischen Herstellern aus verschiedenen Mitgliedstaaten fördert. Es ist möglich und wünschenswert, dass diese Entwicklungsinitiativen langfristig zu einer Verringerung der Anzahl der zukünftigen Waffensysteme führen wird.

Die umfassende russische Invasion in der Ukraine ist ein Einschnitt, der die europäische Sicherheitsordnung auf Jahrzehnte prägen wird. Politisch müssen nun die Weichen gestellt werden, die es den Europäer*innen ermöglichen, die materiellen Grundlagen zur Sicherung und Verteidigung einer zukünftigen Ordnung zu produzieren. Diese Weichenstellungen wären explizit kein transatlantisches De-coupling, sondern ein Weg zu einer transatlantischen Allianz auf Augenhöhe. Deswegen ist es Zeit für eine strategische europäische Rüstungspolitik, die pragmatische Lösungen für die aktuellen Herausforderungen anbietet. Ein wehrhaftes Europa wird es nur mit einer europäisierten Verteidigungsindustrie geben.

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Autor*in
Lucas Hellemeier

ist seit Oktober 2020 Ph.D. Student am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. In seiner Forschung befasst er sich mit der Globalisierung der Rüstungsindustrie.

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