Meinung

Warum die Wehrpflicht keine Antwort auf den Krieg in der Ukraine ist

Nachdem Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, wird die Verteidigungspolitik in Europa neu justiert. Das ist nachvollziehbar. Dass jetzt eine Rückkehr der Wehrpflicht diskutiert wird, ist hingegen unsinnig und unangemessen. Ein Kommentar.
von Benedikt Dittrich · 3. März 2022
In Deutschland wird wieder über die Wehrpflicht diskutiert.
In Deutschland wird wieder über die Wehrpflicht diskutiert.

Ich gehöre zu den Jahrgängen, die mit als letztes zum Wehrdienst eingezogen wurden. Die Musterung, an deren Ende ich den Dienst an der Waffe verweigerte, dauerte ungefähr einen Tag. Medizinische Untersuchung, Gespräch im Anschluss, dazwischen lange Wartezeiten in einem beige-braunen Zimmer, viel Bürokratie. Es waren mindestens fünf Menschen direkt mit meiner Musterung beschäftigt, darunter Ärzte, Verwaltungsmitarbeiter*innen, mindestens ein Offizier.

Das ist inzwischen rund 15 Jahre her, die Wehrpflicht wurde 2011, vor 11 Jahren, ausgesetzt. Das Kreiswehrersatzamt in Hannover, das ich damals ansteuern musste, gibt es nicht mehr, das Personal, sofern es überhaupt noch für die Bundeswehr arbeitet, hat inzwischen andere Aufgaben. Insofern ist die Debatte darüber, ob man jetzt die Wehrpflicht als Reaktion auf den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine wieder einführen sollte, purer Aktionismus.

Das sagt der SPD-Verteidigungsexperte Wolfgang Hellmich zu der Wehrpflicht-Debatte.

Eine Wehrpflicht wäre keine gute Antwort

Dafür fehlen die Strukturen, Ausbilder*innen in der Bundeswehr, von der Ausrüstung ganz zu schweigen. Selbst wenn der ganze „Apparat“ Bundeswehr dafür binnen weniger Monate mit sehr viel Geld umgekrempelt werden könnte: Die Soldat*innen, die dann an der Waffe ausgebildet würden, wären dann ja noch lange nicht einsatzbereit. Schon gar nicht in den Bereichen, auf die es inzwischen auch ankommt.

Denn seit dem Abschied von der Wehrpflicht ist das Schlachtfeld viel komplexer geworden: Begriffe wie „Cyberangriff“ wurden damals höchstens unter Expert*innen in der Theorie diskutiert, die Propaganda im Internet steckte noch in den Kinderschuhen. Landesverteidigung ist viel komplexer als die Debatte um Soldat*innen und Panzer, Schiffe und Flugzeuge. Deswegen wäre eine Grundausbildung über ein paar Monate, wie sie während der Wehrpflicht damals üblich war, heute überhaupt kein effektives Instrument, um die Bundeswehr schnell zu ertüchtigen.

Das heißt nicht, dass über eine Wehrpflicht gar nicht nachgedacht werden darf. Ja, vielleicht ist es sogar nötig, dass diese Debatte endlich geführt wird. Denn dass die Länder in Europa und damit auch Deutschland eine effektive Landesverteidigung brauchen, hat uns Putins Angriff auf die Ukraine auf brutalste Weise wieder vor Augen geführt.

Sicherheit und Verteidigung ist mehr als Bundeswehr

Aber dann geht es in Wahrheit nicht allein um die Wehrpflicht in Deutschland oder die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Denn dann geht es im Kern um Sicherheit und Frieden in ganz Europa, den keine nationale Armee alleine sichern kann. Dafür braucht es eine europäische Perspektive, eine europäische Verteidigungspolitik, vielleicht sogar um eine gemeinsame europäische Armee.

Über diese Aspekte kann und muss künftig diskutiert und gestritten werden. Es geht schließlich um grundsätzliche Fragen wie den Stellenwert eine Armee in unserer Gesellschaft und wie wir dauerhaft den Frieden auf unserem Kontinent sichern wollen. Dann können wir auch wieder über die Wehrpflicht in Deutschland diskutieren.

Irgendwann. Aber nicht jetzt, während in der Ukraine gekämpft wird. Wenn es darum gehen muss, einen Krieg zu beenden.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare