Warum die Union Nachhilfe in Verfassungskunde braucht
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Wie wichtig lebenslanges Lernen und das Recht auf Weiterbildung sind, lässt sich aktuell ganz deutlich am Beispiel der Union beobachten. Eigentlich ist die Sachlage doch ziemlich klar: Eine geschäftsführende Regierung ist solange im Amt, bis eine neue gewählt ist. Um es noch konkreter zu machen, lohnt sich ein Blick ins Grundgesetz. Dort heißt es in Artikel 69: „Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten ein Bundesminister verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen.“
Wie wär's mit einer Weiterbildung, Herr Blume?
Das bedeutet mit Blick auf die aktuelle Situation, da die Verhandlungen über eine künftige Ampel-Koalition noch laufen, ganz simpel: Bundeskanzlerin ist Angela Merkel (CDU), Bundesinnenminister ist Horst Seehofer (CSU), Bundesgesundheitsminister ist Jens Spahn (CDU). Wenn also Markus Blume, Generalsekretär der CSU mit immerhin einem Abschluss in Politikwissenschaft fragt, wie die Ampel „unseren polnischen Nachbarn bei der Bewältigung der Migrationskrise“ helfen wolle, sollte er lieber einmal seinen früheren Parteivorsitzenden im Innenministerium ansprechen. Immerhin ist Seehofer der zuständige Minister.
Markus Blumes Studienabschluss liegt inzwischen 23 Jahre zurück. Seitdem ist viel passiert. Klar, das verstehe ich. Artikel 69 des Grundgesetzes hat sich jedoch nicht geändert. Dafür genügt ein Blick. Nicht schaden kann bei solch gravierenden Defiziten aber sicher auch eine Weiterbildung im Bereich Verfassungsrecht. Ich habe mal nachgeschaut – letztlich ist München eben doch ein Dorf – nur zehn Minuten sind es vom Bayerischen Landtag mit der U-Bahn zur Ludwig-Maximilans-Universität auf der anderen Seite der Isar. So viel Zeit dürfte doch sein, Herr Blume!
Der Minister mit Rekord(-Inzidenz)-Werten
Doch leider ist Markus Blume kein Einzelfall. Selbst sein aktueller Parteivorsitzender Markus Söder, von Blume einst als Kanzlerkandidat der Herzen ausgerufen, fällt aktuell auch eher durch Wissenslücken denn durch kompetentes Regierungshandeln auf. Panisch ruft er nach Bund-Länder-Gesprächen, kritisiert die Ampel-Parteien und versucht zu kaschieren, dass er monatelang als Ministerpräsident von Bayern zugesehen hat, wie die Inzidenzwerte in seinem Bundesland durch die Decke gegangen sind. Einzelne Landkreise liegen inzwischen bei mehr als 1.000 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner*innen in einer Woche, der Freistaat insgesamt weist einen Wert von 395,8 auf, bundesweit Platz drei hinter Sachsen und Thüringen.
Auch Michael Grosse-Brömer, immerhin Rechtsanwalt und seit 2012 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, also Experte im Hinblick auf parlamentarische Abläufe, fragt auf Twitter panisch: „Weiß eigentlich irgendjemand, wo dieser SPD-Kanzlerkandidat Scholz abgeblieben ist?“ Kleiner Tipp: Morgen redet Olaf Scholz im Bundestag. Also gut zuhören! Vielleicht erfährt Grosse-Brömer bei der Gelegenheit auch, dass der für Gesundheitspolitik zuständige Minister ein Parteikollege von ihm ist.
Parteivorsitz statt Pandemiebekämpfung
Laut Twitter-Profil ist das Jens Spahn. Er hat jedoch aktuell nicht sehr viel Zeit für Pandemiebekämpfung. Immerhin wählt die CDU demnächst mal wieder einen neuen Vorsitzenden und Jens Spahn muss sich gegen die harte Konkurrenz von vier weiteren katholischen Männern aus Nordrhein-Westfalen in Stellung bringen. Offenbar hilft es im innerparteilichen Wettstreit, mal eben zu verschleiern, dass er eigentlich noch als Minister im Amt ist. Fest steht: Die Union braucht dringend Nachhilfe in Verfassungskunde.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo