Warum die Schuldenbremse auch das Wachstum bremst
IMAGO/Jochen Tack
Die neuesten Zahlen bestätigen den Trend: Die Wirtschaft in Deutschland stagniert. Das liegt nur zum geringeren Teil an einer lahmenden Weltwirtschaft, so weisen die USA derzeit ein ziemlich dynamisches Wachstum auf und auch in Teilen der EU geht es merklich aufwärts. Das größere Problem für Deutschland ist derzeit vielmehr die Binnennachfrage bzw. Teile davon. Sorgen bereiten vor allem der private Verbrauch und die Investitionen am Bau.
Erstere ist gedrückt, weil die Inflation die Kaufkraft der Haushalte in den vergangenen zwei Jahren merklich geschwächt hat. Letztere sind durch die hohen Zinsen eingebrochen, die für viele die Kredite zur Finanzierung ihres Baus unerschwinglich machen oder diesen zumindest unrentabel werden lassen. Beides summiert sich zu einer Schwäche der Binnenmarktnachfrage, die nicht nur konjunkturell ein Problem ist, sondern auf ein grundsätzlicheres Problem in einer veränderten Welt hinweist.
Die Gewissheiten der Vergangenheit gelten nicht mehr
Das hat, wie Peter Bofinger jüngst hier festgestellt hat, weitreichende Konsequenzen für das Exportmodell Deutschlands. Als erstes ist eine breitere Streuung unseres Außenhandels (De-Risking) notwendig, um geballte Risiken zu vermeiden. Das gilt namentlich für den Handel mit China und den Energielieferanten. Das zweite ist die Intensivierung des europäischen Binnenmarktes. Der reibungslose Austausch von öffentlichen Gütern zwischen den einzelnen EU-Volkswirtschaften wird die Wohlstand-mehrende Kraft einer optimalen europäischen Arbeitsteilung erst zur vollen Entfaltung bringen. Es gibt aber immer noch viele Hürden für diesen Austausch fundamentaler Güter wie z.B. die Energieversorgung oder die Mobilität im Bahnverkehr. Hier sollte der Aufbau europäischer Netze rasch forciert werden. Dies kommt dem Wohlstand in der EU allseitig zu Gute.
Für eine Ära der hohen Investitionen
Mit dem riskanteren globalen Umfeld und dem Aufbau eines leistungsfähigeren EU-Binnenmarkts muss sich die europäische Wirtschaftspolitik neu orientieren. In der EU sollte eine Ära der hoher Investitionen beginnen. Das gilt für private wie öffentliche Investitionen. In Gegenwart globaler Risiken muss die Binnennachfrage auf einen höheren Expansionspfad gehoben werden. Ein solcher Wandel, der mit hohen Unsicherheiten behaftet ist, sollte wirtschaftspolitisch initiiert und flankiert werden. Hier ist in erster Linie die Finanzpolitik gefordert. Sie muss über steuerliche Anreize, verbilligte Kredite und Zuwendungen die Investitionsdynamik antreiben und stützen.
Höhere Belastungen der öffentlichen Haushalte durch höhere Ausgaben sind unvermeidlich, will man diese Dynamik entfalten. Zwar gibt es durchaus einen nennenswerten Spielraum für höhere Steuern bei Vermögen. Doch ist dessen Nutzung wegen der hohen politischen Widerstände schwierig und das zu erwartende Aufkommen dürfte bei weitem nicht ausreichen. Daher ist für die kommenden Jahre eine höhere Staatsverschuldung nicht zu vermeiden, will man die notwendigen Anpassungen nicht verpassen und künftigen Generationen die Last eines ökonomischen Rückstands und den damit verbundenen Wohlstandsverlust aufbürden.
Bislang stehen einer solchen offensiven Wirtschaftspolitik die europäischen und vor allem die deutschen Fiskalregeln entgegen. Deren Reform, die zwingend mit einer Öffnung für Investitionen verbunden sein muss, sollte am Anfang einer investiven Ära stehen. Das käme im übrigen auch der gerade schwächelnden Konjunktur zu Gute.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.