Meinung

Warum die Digitalisierung nicht das Ende der Arbeit bedeutet

Die Digitalisierung der vergangenen zehn Jahre zeigt: Der technologische Fortschritt hat mehr Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet. Doch das ist nicht selbstverständlich. Damit es so bleibt, brauchen wir eine Agenda 2030 für Deutschland.
von Michael Frenzel · 30. April 2019
Michael Frenzel, Chef des SPD-Wirtschaftsforums, warnt vor Schwarzmalerei: „Neue Technologien bringen immer auch neue Arbeit hervor.“
Michael Frenzel, Chef des SPD-Wirtschaftsforums, warnt vor Schwarzmalerei: „Neue Technologien bringen immer auch neue Arbeit hervor.“

Der erste Mai als „Tag der Arbeit“ geht zurück auf einen Generalstreik in den USA. Ziel des Arbeiteraufstands von 1886 war die Durchsetzung des 8-Stunden-Tags. Gewaltsame Auseinandersetzungen in Chicago mit mehreren Dutzend Toten gingen dabei als „Haymarket Massaker“ in die Geschichte ein. Gedenktage mit neuen Streiks und Demonstrationen folgten. Auch und vor allem in Europa.

Große Sorgen, viele neue Jobs

Dieser Frühkapitalismus wurde nicht zuletzt durch die Soziale Marktwirtschaft gezähmt. Zum ersten Mai 2019 stellen sich aber ganz andere Fragen: Geht uns durch die Digitalisierung die Arbeit aus? Nehmen uns Roboter und Künstliche Intelligenz die Jobs weg? Glaubt man einer aktuellen OECD-Studie, sind ein Fünftel aller Arbeitsplätze in Deutschland bedroht. Das Global Institute von McKinsey sagt sogar, bis zu einem Drittel der deutschen Arbeitnehmer müsse bald eine neue Beschäftigung finden.

Doch das ist Schwarzmalerei. Neue Technologien bringen immer auch neue Arbeit hervor. Automatisierte Fabriken und Industrie 4.0 erzeugen genauso Nachfrage nach Ingenieuren wie nach weniger qualifizierten Mitarbeitern in Wartung und Betreuung. Selbst kundennahe Berufe werden neu entstehen. Wie oft haben Sie schon das Display ihres Smartphones austauschen lassen? Und wer hat vor zehn Jahren geglaubt, dass mit dem Programmieren kleiner Apps richtig Geld zu verdienen ist?

Produktivität und Wirtschaftswachstum entscheidend

Die Digitalisierung war die vergangenen zehn Jahre schon voll im Gang. Die Produktivität wuchs trotzdem nur um 0,6 Prozent jährlich, während die Wirtschaftsleistung mit der doppelten Rate stieg: um 1,3 Prozent. Das heißt: Der technologische Fortschritt hat die Wirtschaft angekurbelt und mehr Jobs geschaffen, als er in der gleichen Zeit durch höhere Effizienz vernichtet hat. Erst wenn der Produktivitätszuwachs das Wirtschaftswachstum überholt, wird es für Arbeitsplätze gefährlich.

Natürlich können Berufe verschwinden. Wer geht schon in eine Bankfiliale, wenn die Überweisung von unterwegs viel bequemer ist?  Wer braucht Lkw-Fahrer, wenn Autos autonom durch den Verkehr steuern? Die Gewerkschaften setzen deshalb auf Qualifizierung. Letzte Woche hat der DGB einen Zehn-Punkte-Katalog zur „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ vorgelegt. Darin enthalten ist die Idee, dass Betriebe, die digital umgebaut werden, Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken können und die Beschäftigten die Zeit für Aus- und Weiterbildung nutzen.

Investitionen in Bildung, Forschung und Innovationen

Denn genau um solche Ideen geht es beim digitalen Wandel: Zentrale Elemente der Sozialen Marktwirtschaft brauchen eine neue Balance und müssen neu geordnet werden. Dazu gehören Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie, ein vorsorgender Sozialstaat, der fördert und fordert. Aber auch gezielte Investitionen in Bildung, Forschung und Innovationen. Und eine Orientierung auf nachhaltiges, inklusives Wachstum. Es geht um die Soziale Marktwirtschaft 4.0.

Das Weißbuch der Bundesregierung zur Arbeit 4.0 hat Ende 2016 eine ganze Palette an Fragen zu den Folgen der Digitalisierung für die sozialen Sicherungssysteme aufgeworfen. Aber eine Debatte zur Sozialen Marktwirtschaft 4.0, die den Gesamtkomplex wirtschaftspolitischer und sozialpolitischer Fragen verbindet, wird in Deutschland nur zögerlich geführt. Wie qualifizieren wir ältere Arbeitnehmer? Wie verhindern wir die Spaltung des Arbeitsmarkts in wenige Gutverdiener und den großen Rest? Wie schaffen wir die digitale Infrastruktur von morgen? Und wie beteiligen wir die Digitalunternehmen im Silicon Valley an der Finanzierung unseres Sozialstaats?

Politik muss Antworten finden

Darauf müssen wir möglichst schnell eine Antwort finden. In einer neuen Agenda für unser Land, einer Agenda 2030. Wenn wir das richtig machen, bleiben die Aussichten für den deutschen Arbeitsmarkt gut. Dann spricht wenig dafür, dass der digitale Wandel eine neue Massenarbeitslosigkeit bewirkt. Allen Kassandra-Rufen zum Trotz: Es gibt kein Ende der Arbeit. Wenn wir das wollen.

Autor*in
Michael Frenzel

war bis Dezember 2021 Präsident des Wirtschaftsforums der SPD e.V.

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