Warum die blinde Schuldenbremse den Wohlstand gefährdet
IMAGO/Sascha Steinach
Perspektiven erweitern: Wohldurchdachte Schulden können die Wirtschaft stimulieren.
Nun ist es also passiert. Das Bundesverfassungsgericht hat Entscheidungen über öffentliche Investitionen im Rahmen von Sonderfonds außerhalb von akuten Notlagen für verfassungswidrig erklärt. Und zwar, weil sie nach seiner Auffassung gegen die verfassungsmäßig verankerte Schuldenbremse verstoßen.
Es war ein großer Fehler, die Schuldenbremse in dieser Form im Grundgesetz zu verankern. In ökonomischer Logik sind Schulden schließlich nicht etwas prinzipiell Schlechtes, die es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Vielmehr können Schulden eine Wirtschaft entscheidend voranbringen und Wohlstand in der Zukunft sichern und schaffen.
Dies ist genau dann der Fall, wenn diese Schulden aufgenommen werden, um Investitionen durchzuführen. Sie stimulieren nicht nur kurzfristig die Konjunktur, sondern sie erhöhen auf längere Sicht die Produktionsmöglichkeiten und damit den Wohlstand einer Volkswirtschaft. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Wirtschaft, wie es derzeit wegen vielfacher globaler Herausforderungen der Fall ist, unter einem hohen Anpassungsdruck steht. Zugleich lahmt die Konjunktur, was sowohl gegen Steuererhöhungen als auch gegen Sparprogramme als Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen spricht.
Gute und schlechte Schulden
Schulden sind jedoch nicht kostenlos. Jahr für Jahr müssen Zinsen hierfür aus dem Haushalt aufgebracht werden; Ausgaben, die für andere Zwecke nicht zur Verfügung stehen. Eine ökonomisch rationale Abwägung über eine Schuldenaufnahme wäre daher, zu prüfen, ob die durch Investitionen zu erwartenden Wohlstandsgewinne die Zinskosten übersteigen. Ist dies der Fall, spricht jedoch nichts dagegen, sich zu verschulden.
Gegenüber diesen ökonomischen Zusammenhängen ist die Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form aber blind, weil sie nicht zwischen investiven und konsumtiven Ausgaben, bei denen keine Ausweitung der Produktionsmöglichkeiten entsteht, unterscheidet. So steht es im Grundgesetz und verhindert mögliche Wohlstandsgewinne. Das ist des Fehlers Kern. Warum aber wurde seinerzeit dieser Schritt überhaupt erwogen?
Die politisch-ökonomische Begründung war, dass es für jede Regierung zu starke Anreize geben würde, sich zu verschulden. Mit den erhöhten Ausgaben könnten sie sich über soziale „Wohltaten“ die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler der Gegenwart zu, während sie die Kosten der Schulden künftigen Generationen aufbürden würde. Daher sei der Schuldenstand verfassungsmäßig möglichst niedrig zuhalten.
Falsche Argumente
Diese Argumente sind mindestens unpräzise, teilweise sogar schlicht falsch. Die Annahme, dass die Wähler*innen sich fortwährend durch Schulden finanzierte Ausgabenprogramme einer Regierung gegenüber geneigter machen würde, setzt ziemlich dumme Wähler*innen voraus. Jede auch nur halbwegs agile Opposition wird sie auf die Problematik immer höherer Verschuldung in drastischer Form hinweisen. Sie können sich folglich jederzeit ein Bild machen, ob diese Verschuldung sinnvoll ist oder nicht.
Gänzlich falsch ist es, bei investiven Ausgaben Generationen gegeneinander auszuspielen. Schon ab dem ersten Tag der Schuldenaufnahme muss die gegenwärtige Generation auch die Zinsen hierfür zahlen. Sie empfängt also nicht nur die Vorteile in Form einer besseren Konjunktur und sich ausweitender Produktionsmöglichkeiten, sondern trägt auch die Kosten hierfür. Mit dem Verblassen der Älteren übernimmt die jüngeren Generation zwar die Zinslasten, aber ihr kommen auch die höheren Produktionsmöglichkeiten in vollem Umfang zugute. Was ist daran unfair, sodass man es verfassungsmäßig einschränken müsste?
Hinzu kommt, dass die Zinszahlungen nicht verschwinden, sondern an die Gläubiger*innen fließen. Solange diese im Inland sitzen, bleibt also der Wohlstand hierdurch in der Volkswirtschaft insgesamt erhalten, auch wenn dies ungleich zugunsten Wohlhabenderer verteilt ist, da sie das Gros der Zinszahlungen empfangenden Gläubigerinnen und Gläubiger ausmachen dürfte.
Eine sehende Schuldenbremse
Aus alledem folgt, die Schuldenbremse muss grundlegend reformiert werden. Insbesondere muss ihre Blindheit gegenüber investiven Ausgaben geheilt werden. Eine sehende Schuldenbremse wäre schon ein gewaltiger Fortschritt. Genau dies fordert die SPD in ihrem Leitantrag für den kommenden Bundesparteitag.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.