Meinung

Warum der Steuerzahlergedenktag eine bewusste Irreführung ist

Jedes Jahr ruft die Lobbyorganisation „Bund der Steuerzahler“ Mitte Juli den „Steuerzahlergedenktag“ aus. Für die SPD-Politiker Cansel Kiziltepe, Michael Schrodi und Norbert Walter-Borjans ist es vielmehr ein „Tag der bewussten Irreführung“.
von Norbert Walter-Borjans · 15. Juli 2019
Cansel Kiziltepe, Michael Schrodi und Norbert Walter-Borjans kritisieren den „Steuerzahlergedenktag“.
Cansel Kiziltepe, Michael Schrodi und Norbert Walter-Borjans kritisieren den „Steuerzahlergedenktag“.

Der „Steuerzahlergedenktag“ müsste eigentlich „Tag der bewussten Irreführung“ heißen, denn der Bund der Steuerzahler operiert nachweislich mit falschen Zahlen, schmeißt Steuern und Sozialabgaben willkürlich in einen Topf und übergeht, dass die öffentlich finanzierte Infrastruktur (Schulen, Universitäten, Straßen, Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr usw.) selbstverständlich ganzjährig zur Verfügung steht. Er diskreditiert pauschal und undifferenziert den Sinn und die Legitimität von Steuern, verschweigt, dass durch Steuervorteile für Spitzenverdienende und Vermögende ein milliardenschwerer öffentlicher Investitionsstau entstanden ist und lässt völlig unerwähnt, dass den Sozialversicherungsbeiträgen unmittelbare individuelle Ansprüche bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Rente und Pflege gegenüberstehen.

Zudem suggeriert der Bund der Steuerzahler fälschlicherweise, alle Bürgerinnen und Bürger würden den gleichen Steuersatz zahlen, völlig unabhängig von ihrem tatsächlichen Einkommen oder Vermögen. Er führt in die Irre, weil der Tag je nach individueller Steuerlast (Grundfreibetrag, Steuerprogression, Steuerklasse, Ehegattensplitting) ganz unterschiedlich zu errechnen ist, geht darüber hinweg, dass Kapitaleinkünfte dank der pauschalen Abgeltungsteuer von 25 Prozent bevorzugt und damit bereits sehr viel früher „aus dem Rennen sind“ und errechnet nicht, um wie viel günstiger die Rechnung ohne die massive Steuerhinterziehung und die „Steuergestaltung“ insbesondere großer und globaler Unternehmen ausfallen könnte.

Der Staat ist kein Raubritter

Einmal im Jahr ruft der Bund der Steuerzahler den „Steuerzahlergedenktag“ aus. Damit setzt der im Lobbyregister des Deutschen Bundestages eingetragene Interessenverband von Besserverdienenden bewusst auf die Distanzierung der Bürgerinnen und Bürger von ihrem eigenen Gemeinwesen und untergräbt aktiv die Idee und Legitimität von Steuern. Der symbolische Gedenktag zeichnet das Bild eines gierigen Staates. Dabei verschweigt er die Tatsache, dass der Steuerbeitrag für Durchschnittsverdienende über alle Steuerarten zusammengerechnet weniger als 20 Prozent des Einkommens beträgt, ebenso wie er die teilweise enormen Steuerrabatte  für extrem hohe Einkommen – etwa für die BezieherInnen hoher Dividenden – ausblendet.

Die Lobbyorganisation „Bund der Steuerzahler“ unterschlägt außerdem bewusst, dass die öffentliche Hand mit den Leistungen der SteuerzahlerInnen öffentliche Güter und Dienstleistungen zur Verfügung stellt, die mit einer privaten Finanzierung deutlich teurer ausfallen würden. Ein Beispiel sind die in öffentlich-privaten Partnerschaften erstellten Bundesautobahnen, die den Steuerzahler teurer zu stehen kommen als eine öffentliche Finanzierung, wie der Bundesrechnungshof jährlich in seinem Bericht darlegt.

Der Steuerzahlergedenktag suggeriert: Als durchschnittliche ArbeitnehmerIn habe man bis zu dem Tag nur für den Staat, sprich für Steuern und Abgaben, gearbeitet. „Der Bund der Steuerzahler tut so als wäre der Staat ein Raubritter und nicht ein Garant der öffentlichen Daseinsvorsorge“ beschreibt Michael Schrodi die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Zur genauen Datierung des „Steuerzahlergedenktags“ wurde bis 2018 eine „volkswirtschaftliche Einkommensbelastungsquote“ herangezogen, welche die gesamten Steuern und Abgaben ins Verhältnis zum Einkommen setzte.

„Bund der Steuerzahler-Aufpeitscher“

Die vom Bund der Steuerzahler zugrundeliegende Quote war jedoch in den vergangenen Jahren so konstruiert, dass sie weit über der tatsächlichen Steuer- und Abgabenquote lag. Die höhere Kennziffer ergab sich dadurch, dass die von den Bürgern zu zahlenden Steuern nach oben und deren gesamtes Einkommen nach unten hin verzerrt wurden. Den Steuern wurden beispielsweise Abgaben zugerechnet, die vom Staat selbst gezahlt werden. Beispiele hierfür sind die Mehrwertsteuer auf seine Einkäufe und Investitionen, Ökosteuer auf seinen Energieverbrauch, Kfz-Steuer für seine Fahrzeuge, Grundsteuer für seine Immobilien oder Unternehmen- und Einkommensteuern auf seine Kapitalerträge. Das Gesamteinkommen als Bezugsgröße wurde verkleinert, indem die Steuern unzulässigerweise herausgerechnet wurden. Die Steuern werden quasi auf das Nettoeinkommen bezogen. Somit entstand der Eindruck einer extrem hohen Steuerbelastung. „So wie der Bund der Steuerzahler jahrelang gerechnet hat, sollten wir eher vom Bund der Steuerzahler-Aufpeitscher sprechen“ kritisiert Norbert Walter-Borjans den Verein. Im Jahr 2019 hat der Steuerzahlerbund diese immer kritisierte Rechnungsweise erstmals umgestellt.

Der Bund der Steuerzahler gibt sich in der Öffentlichkeit als vermeintlich neutraler und aufklärerischer Akteur, der auf den effektiven Einsatz von Steuermitteln achtet. Wenn er sich darauf beschränken würde, wäre das nicht zu beanstanden. Mit der Schlussfolgerung des Bundes der Steuerzahler, dass eine Senkung der Steuern und Abgaben für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger sowie Betriebe unabdingbar sei, macht der Bund der Steuerzahler aber vor allem Interessenpolitik für Spitzenverdiener und Vermögende. Denn den Bürgerinnen und Bürgern wird pauschal suggeriert, dass der Staat ihnen Geld wegnehme und damit schlecht haushalte. Neoliberale Forderungen, wie eine Senkung der Staatsausgaben und eine erneute Senkung von Unternehmens- und Spitzensteuersätzen, hüllen sich so in ein arbeitnehmerfreundliches Gewand, entlasten jedoch ganz andere. „Der Bund der Steuerzahler vertritt nicht den einfachen Steuerzahler, sondern wohlhabende Unternehmer, leitende Angestellte mit Spitzengehältern und Personen mit hohem Vermögen“, sagt Cansel Kiziltepe. „Das erklärt auch, wieso ihre Zeitschriften für Luxusreisen und Seminare für den Vermögenserhalt werben“ so Cansel Kiziltepe weiter.

Politik für wohlhabende Unternehmer

Die Willkür, die der Berechnung des „Steuerzahlergedenktags“ zugrunde liegt, ist offensichtlich. Gehen wir von einer Person aus, die ausschließlich von ihren Kapitaleinkünften leben kann, zum Beispiel infolge einer großen Erbschaft. Das ist angesichts der sehr hohen Vermögensungleichheit in Deutschland ein realistisches Szenario. Das DIW hat berechnet, dass im Jahr 2014 die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft 63 Prozent des gesamten Vermögens besaßen. Das reichste eine Prozent hielt mit schätzungsweise 33 Prozent die Hälfte dieses Vermögens. Auf welchen Tag würde der „Steuerzahlergedenktag“ für solch einen reichen Erben fallen? Wenn wir nur die Steuern auf Einkommen betrachten und der Erbe ausschließlich Kapitaleinkommen hat, dann ist die Antwort der 6. April (26,375 %). Ohne Solidaritätszuschlag wäre es sogar der 1. April (25 %)!

Der sogenannte Gedenktag ignoriert außerdem, dass Steuern ein wichtiges Instrument zur Finanzierung und Bereitstellung öffentlicher Güter sind. Sie sind keine reine Abgabenlast. Zudem suggeriert er, dass geleisteten Sozialabgaben dem Staat zu fließen. Tatsächlich stellen sie zukünftige Leistungen im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit, im Alter und bei Pflegebedürftigkeit  dar. Ohne Sozialabgaben müsste man für diese Leistungen mit einer privaten Vorsorge aufkommen, was deutlich teurer ausfällt. Als gutes Beispiel kann der Gesundheitssektor dienen. Die Pro-Kopf-Ausgaben für das vorwiegend private Gesundheitswesen in den USA sind fast doppelt so hoch wie die in Deutschland.

Anstatt generell eine Reduzierung der Steuerlast zu fordern, sollte besser diskutiert werden, warum der Produktionsfaktor Arbeit stärker besteuert wird als der Faktor Kapital. Spitzeneinkommen durch Kapitalanlagen sollten nicht länger gegenüber Einkommen aus Arbeit begünstigt werden.

Autor*in
Norbert Walter-Borjans
Norbert Walter-Borjans
war von 2019 bis 2021 SPD-Parteivorsitzender und von 2010 bis 2017 Finanzminister von Nordrhein-Westfalen.
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