Warum der Soli auf hohe Einkommen gebraucht wird, aber nicht ausreicht
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Noch als Bundesfinanzminister hatte Olaf Scholz bewirkt, dass der Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 Prozent der Steuerschuld auf Einkommen-, Körperschaft- und Kapitalertragsteuer von über 90 Prozent der Steuerzahler*innen nicht mehr erhoben wird. Lediglich für 3,5 Prozent der höchsten Einkommen wird er noch in voller Höhe, für weitere rund sechs Prozent langsam anwachsend von null auf 5,5 Prozent fällig – nicht etwa auf das Einkommen, sondern auf den Steuerbetrag! Nach vielerlei Steuersenkungen besonders für die höchsten Einkommen blieb es ab 2021 für das bestverdienende Zehntel bei dem Steuerzuschlag für die weiter notwendige Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Immerhin mehr als zehn Milliarden Euro fließen so in den augenblicklich besonders strapazierten Bundeshaushalt – von jenen, die sich die geringsten Sorgen machen müssen, wie sie in Zeiten einer galoppierenden Teuerung ihren Alltag finanzieren sollen.
Der Soli war nie zeitlich befristet
Gegen die Beibehaltung des Soli für Besserverdienende hatte ein Ehepaar bis zum Bundesfinanzhof (BFH ) geklagt – und verloren. Der BFH hat den weiter bestehenden Handlungsbedarf des Bundes für Ostdeutschland – etwa in Bezug auf die Renten – noch einmal unterstrichen. Und ja, dazu darf höheren Einkommen auch ein Sonderbeitrag abverlangt werden. Weil aber nicht nur die Kläger*innen, sondern auch die Interessenvertreter*innen der oberen Einkommensklassen – allen voran der Bund der Steuerzahler – gebetsmühlenhaft das Argument bemühen, der Soli habe der Finanzierung des bis 2020 befristeten Solidarpakts Ost gedient und damit seine politische und rechtliche Grundlage verloren, lohnt es sich, noch einmal auf die Fakten zu schauen:
Der 1995 eingeführte Soli ist in der Tat mit den hohen Aufwendungen des Bundes für den Ausgleich zwischen Ost und West begründet worden, er war aber weder an den Solidarpakt für den Aufbau Ost geknüpft noch mit einer zeitlichen Befristung versehen worden. Die Verwirrung rührt daher, dass es tatsächlich einmal einen befristeten Soli gab – von 1991 bis 1992, vor allem zur Finanzierung des Golfkriegs. Der aktuelle Zuschlag wurde 1995 unbefristet eingeführt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat damals erneut von ihrem grundgesetzlichen Recht Gebrauch gemacht, eine Ergänzungsabgabe zu erheben. Von 1995 bis 1997 betrug sie sogar 7,5 Prozent. Die ständige Wiederholung, der Soli sei wie der Solidarpakt bis 2020 befristet gewesen, ist schlichtweg ein interessengeleiteter Versuch der Irreführung. Allerdings mit nicht zu unterschätzender Wirkung. Vom falschen Vorwurf des Wortbruchs lassen sich viele bis in die eigenen Reihen verunsichern.
Der Soli war nie für alle gleich hoch
Auch das zweite Argument der Kläger*innen und ihrer Lobby verfängt nicht. Nach der Abschaffung des Soli für mehr als neunzig Prozent der Steuerpflichtigen belaste er unzulässigerweise nur noch wenige obere Prozent der Einkommensbezieher*innen. Er sei also eine ungerechte „Reichensteuer“. Einmal abgesehen davon, dass unser Grundgesetz selbstverständlich eine Besteuerung zulässt, die starken Schultern mehr aufbürdet als schwachen, war der Soli nie für alle gleich hoch. Er wird ja nicht auf das Einkommen, sondern auf die Steuerschuld erhoben. Der 5,5prozentige Zuschlag erhöhte bis 2020 einen durchschnittlichen Steuersatz von 20 Prozent um 1,1 Prozentpunkte. Das war für Ehepaare bei etwa 6.000 Euro im Monat der Fall. Wer 40 Prozent zahlt, kommt mit dem Soli auf 2,2 Prozentpunkte mehr. Dafür muss das Einkommen allerdings bei 60.000 Euro liegen – pro Monat!
Die Abschaffung des Soli für Monatseinkommen bis rund 5.500 Euro für Singles oder 11.000 Euro für Paare ab dem Jahr 2021 hat einen höheren Beitrag Besserverdienender also nicht erst bewirkt, sondern lediglich (gewollt) verstärkt: von null für die Allermeisten bis zu maximal nicht einmal 2,5 Prozent für Einkommensmillionär*innen.
Die SPD muss sich für eine Steuerreform einsetzen
Es ist gut, dass der Bundesfinanzhof Klarheit geschaffen hat. Nicht gut ist, dass sich der gegenwärtige Bundesfinanzminister mit dem Verzicht auf eine Stellungnahme vor dem BFH nicht sach-, sondern interessengeleitet positioniert hat. Nach dem Aussetzen der Vermögensteuer, der Abschaffung einer progressiven Besteuerung von Kapitalerträgen und der drastischen Senkung des Spitzensteuersatzes, ist der Soli das letzte verbliebene Korrektiv für den Schritt um Schritt abgeschwächten Grundsatz, dass starke Schultern mehr beitragen müssen, wenn der Graben zwischen Arm und Reich nicht immer breiter werden soll. Die Vorstöße werden mit dem Spruch des BFH nicht enden.
Deshalb muss die Sozialdemokratie sich jetzt für eine Steuerreform stark machen, die mit dem Soli als Faustpfand für eine dauerhaft gewährleistete Mehrbeteiligung der wirklich großen Einkommen, Vermögen und Erbschaften sorgt. Durch Steuertarife ohne Schlupflöcher für jene, die sich teure Berater leisten können, aber auch durch adäquat ausgestattete Betriebsprüfungen und Steuerfahndungen. Das alles muss bundesweit nach gleichen Maßstäben und mit einer klaren Haltung auf dem internationalen Parkett erfolgen. Die vom Parteivorstand eingerichtete Kommission „Steuern und Finanzen“ ist eine deutliche Ansage. Sie hat ein spannendes und verantwortungsvolles Aufgabenfeld vor der Brust und die Chance, das Profil der SPD als Partei der Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit zu schärfen und mit dafür zu sorgen, dass aus Worten Taten werden.