Warum das Thema Migration Chance für feministische Außenpolitik ist
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Die Organisation von Flucht und Asyl, die Bewältigung des Fachkräftemangels und die Weiterentwicklung der Entwicklungszusammenarbeit sind essenzielle Zukunftsfragen. Es lohnt sich deshalb, die Schwerpunkte der Kommission Internationale Politik (KIP) zu diesem Thema zu diskutieren. Denn: Migrationspolitik bietet eine Gelegenheit, feministische Außen- und Entwicklungspolitik anzuwenden, ungleiche Machtverhältnisse zu durchbrechen und faire Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden.
Kein klares Bekenntnis zur Seenotrettung
Die Kommission fordert zuerst das „Ende des „Sterbens und Leidens an den europäischen Außengrenzen“ und eine „wertebasierte Flüchtlings- und eine kooperative Migrationspolitik“ in Europa. Dieser Abschnitt ist wichtig, aber abstrakt. Es fehlt sowohl ein klares Bekenntnis zu Seenotrettung als auch jegliche Konkretisierung zur Wahrung des Menschenrechts auf Asyl innerhalb der eigenen Grenzen. Die deutsche Gesellschaft muss Bedarfe antizipieren, nicht zuletzt, da unsere Lebensweise und Geschichte dazu beitragen, dass große Gebiete der Erde in absehbarer Zeit unbewohnbar werden.
Als Strategie schlägt die KIP den „Ausbau von Migrationspartnerschaften und die Förderung regelbasierter Migration nach Europa“ vor. Außerdem soll „gemeinsam mit Partnerländern die zirkuläre Migration“ erweitert und attraktiver gestaltet werden, „um Entwicklungspotentiale von Migration stärker zu nutzen.“ Über Entwicklungseffekte von Migration wird aktuell intensiv geforscht. Die angenommenen Impulse ergeben sich aus Geldsendungen der Migrant*innen in ihre Herkunftsländer, Wissenstransfers und Kapazitätsaufbau im Rahmen des Programmes, etwa durch die Einrichtung von Bildungsstätten im Herkunftsland.
Prinzipien feministischer Außenpolitik nutzen
Ein Beispiel ist das Projekt Triple Win, bei dem Migrant*innen aus Partnerländern in Deutschland eine Ausbildung zur Pflegefachperson absolvieren und im Anschluss im hiesigen Gesundheitssystem arbeiten. Das Projekt bietet den Teilnehmenden eine langfristige Bleibeperspektive. Andere Programme setzen auf Zirkularität, bei der Migrant*innen mehrfach Aufenthalte im Zielland absolvieren und dazwischen in ihr Herkunftsland zurückkehren.
Arbeitgeber*innen erlaubt dies die flexible Einstellung von Arbeitskräften in Zeiten der Hochkonjunktur. Für Migrant*innen bedeutet Zirkularität jedoch oft rechtliche Unsicherheit, geringe Vergütung, provisorische Unterbringung und lange Arbeitszeiten. Weil dauerhafte Einwanderung mit Familiennachzug mit hohen Barrieren verbunden ist, schafft zirkuläre Migration außerdem transnationale Familien und Betreuungslücken.
Die KIP schreibt, Zirkularität fördern zu wollen. Wenn der Anspruch deutscher Außen- und Entwicklungspolitik ist, marginalisierte Menschen besonders zu schützen, kann dies jedoch nicht die Lösung sein. Stattdessen sollten die Prinzipien feministischer Außenpolitik angewandt werden, nämlich, die Rechte, Ressourcen und Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen zu fördern.
Rechte, Ressourcen, Repräsentation
Konkret hieße das: Migrant*innen brauchen eine Bleibeperspektive und die Möglichkeit des Familiennachzugs. Sie müssen ihren Kolleg*innen mit deutscher Staatsbürgerschaft rechtlich gleichgestellt sein. Sie benötigen ausreichende finanzielle Ressourcen sowie umfassende Unterstützung bei der Integration. Bei der Gestaltung und Weiterentwicklung von Migrationspartnerschaften müssen sie auf Augenhöhe beteiligt sein.
Ein Begriff muss jedes Nachdenken über Migration prägen: Dekolonialität. Das Beispiel der Pflege demonstriert, warum dies nötig ist. Beschäftigte verlassen in Deutschland aktuell in großem Stil wegen inakzeptabler Arbeitsbedingungen die Branche. Diese Arbeit gezielt an marginalisierte Menschen auszulagern, statt das Gesundheitssystem grundlegend zu reformieren und Care-Arbeit wertzuschätzen, ist zynisch. Hier verfestigen sich koloniale und patriarchale Machtverhältnisse.
Die Weiterentwicklung von Migrationspartnerschaften ist jedoch eine Chance, diese Muster zu durchbrechen. In Programmen, die die Rechte, Ressourcen und Repräsentation der Migrant*innen in den Mittelpunkt stellen – darin läge eine genuin sozialdemokratische Antwort auf eine Welt im Umbruch.
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promoviert an der Universität Rostock zum Thema Migration und Entwicklung und engagiert sich im Netzwerk Feministische Außenpolitik der SPD.