Meinung

Warum das Europaparlament vorerst gegen mehr Klimaschutz gestimmt hat

Mit seinem Nein zur Reform des Emissionshandels hat das Europaparlament ein Herzstück des europäischen Klimaschutzes vorerst ausgebremst. Das war nötig. Jetzt gibt es die Möglichkeit für mehr Klimaschutz und Klarheit für alle beteiligten Industrien.
von Tiemo Wölken · 16. Juni 2022
Kohlekraftwerk Niederaußem in Nordrhein-Westfalen: Es braucht ein gut funktionierendes Emissionshandelssystem, um die europäische Industrie klimaneutral aufzustellen.
Kohlekraftwerk Niederaußem in Nordrhein-Westfalen: Es braucht ein gut funktionierendes Emissionshandelssystem, um die europäische Industrie klimaneutral aufzustellen.

In der vergangenen Woche lehnte das Europäischen Parlament während der Plenarabstimmung den sogenannten Liese-Bericht zur Reform des Europäischen Emissionshandelssystems ab. Was wie ein normaler, demokratischer Vorgang klingt, hat doch Seltenheitswert. Denn es passiert in der Tat nicht allzu häufig, dass nach intensiven, monatelangen Debatten in den Fachausschüssen ein Vorschlag bei der finalen Abstimmung durchfällt. Warum aber kam es zur Ablehnung?

Der CDU-Berichterstatter verkalkuliert sich

Nach der Abstimmung einzelner Änderungsanträge stand fest, dass das Treibhausgasreduktionsniveau zu niedrig war, um einen ausreichenden europäischen Beitrag zur Eindämmung der Klimakrise zu leisten. Dabei sorgte besonders die Europäische Volkspartei (hier sind CDU und CSU Mitglied) zusammen mit den rechten Fraktionen (EKR und ID, in der die AfD Mitglied ist) für eine Verwässerung des Emissionshandelssystems. Folgerichtig haben sowohl die linke, die grüne als auch die sozialdemokratische Fraktion gegen den Vorschlag gestimmt.

Eine Mehrheit gegen den Vorschlag kam aber nur zustande, weil auch die rechten Fraktionen (EKR und ID) gegen den Vorschlag stimmten. Freilich stimmten sie nicht aus Sorge vor den verwässerten Klimaschutzbemühungen gegen den Entwurf, sondern weil sie die Einführung des Emissionshandelssystems für den Gebäude- und Verkehrsbereich ablehnen und weil die Auszahlungen von Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze gebunden werden sollten. Der CDU-Berichterstatter hatte sich also offensichtlich verkalkuliert. Sein Plan war, den Vorschlag mit der rechten Seite des Parlaments abzuschwächen und dann doch mit Hilfe der demokratischen Parteien seinen Bericht abzustimmen.

Die Pläne der Kommission werden verschärft

Natürlich ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Ablehnung nicht einfach gefallen. Denn klar ist: Es braucht ein gut funktionierendes Emissionshandelssystem, um die europäische Industrie klimaneutral aufzustellen. Es braucht aber eben auch Klarheit für die beteiligten Industrien. Daher war es mir persönlich wichtig, schnellstmöglich Nachverhandlungen zu führen. Diese sind nun zwischen den drei größten Fraktionen im Europäischen Parlament innerhalb einer Woche erfolgreich abgeschlossen worden. An zentralen Stellen wurde der Vorschlag noch einmal verschärft.

Zunächst gibt es eine signifikante Anpassung beim Auslaufen der Freizuteilung von Emissionszertifikaten für vom Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) geschützte Industrien. Diese beginnt jetzt 2027 und endet 2032 mit einer kompletten Streichung der Freizuteilungen. Der in der vergangenen Woche abgelehnte Entwurf hätte ein Auslaufen erst von 2028 bis 2034 vorgesehen. Das Auslaufen beginnt also ein Jahr früher und endet zwei Jahre früher. Im Ergebnis werden die Klimaschutzanstrengungen dadurch erhöht.

Für alle anderen Anlagen greift die Anhebung des „Linearen Reduktionsfaktors“ (LRF), der bestimmt mit welcher Geschwindigkeit Emissionszertifikate im Markt verknappt werden. Der LRF wird ab 2029 auf 4,6 erhöht. Der geschlossene Kompromiss sieht zudem vor, dass Exportrabatte WHO-kompatibel ausgestaltet werden. Schließlich werden mehr Bereiche als von der Kommission vorgesehen vom CBAM erfasst. Neu hinzu kommen Wasserstoff, Polymere und organische Chemie. Für die beiden zuletzt genannten Produktkategorien wird die EU-Kommission aber aufgefordert, die technische Umsetzbarkeit noch einmal genau zu untersuchen.

Mehr Klimaschutz und mehr Planungssicherheit

Im Ergebnis ist für mich daher klar, dass die Ablehnung des Berichts in der vergangenen Woche notwendig und richtig war. Die jetzt vorgeschlagenen Änderungen stellen mehr Klimaschutz sicher und bieten Planungssicherheit. Aufgrund der breiten Unterstützung kann davon ausgegangen werden, dass der Bericht am kommenden Mittwoch vom Europäischen Parlament angenommen wird und damit der Weg für Verhandlungen frei ist, sobald sich die Mitgliedsstaaten auf eine Position geeinigt haben. Diese Einigung erhoffe ich mir zeitnah, wenngleich auf Seiten des Rates, wie ist zu hören, noch einige Uneinigkeiten aus dem Weg geräumt werden müssen.

Autor*in
Tiemo Wölken
Tiemo Wölken

ist Koordinator für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament.

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