Meinung

Wahl in Frankreich: Warum Putin-Freund Mélenchon nicht Premier wird

Die Mehrheit der Wahlberechtigten in Frankreich hat an der ersten Runde der Parlamentswahl nicht teilgenommen. Das ist ein Desaster für die Demokratie. Der Jubel im linken Mélenchon-Lager ist mehr als verfrüht.
von Kay Walter · 13. Juni 2022
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Wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten der Wahl fernbleibt, dann darf niemand versuchen, sich um dieses Desaster herumzumogeln. Der Jubel im Mélenchon-Lager, das die Wahl zur französischen Nationalversammlung zur dritten Runde der Präsidentenwahlen hochjazzen wollte – in trauter Gemeinsamkeit übrigens mit der Ultranationalistin Marine Le Pen und gegen Sinn und Wortlaut der französischen Verfassung – ist mehr als verfrüht. Mélenchon hat sich persönlich nicht der Wahl gestellt. Seine Gruppierung NUPES hat keine Mehrheit im Parlament und wird sie auch nicht bekommen. Mélenchon wird nicht Premierminister werden. Ganz sicher nicht.

Zweiter Platz für Mélenchon

Ja: Die Parteiengruppierung, die sich unter dem Namen NUPES hinter Mélenchon zusammengefunden hat, beendet den ersten Wahlgang mit einem guten Ergebnis. Das ist für die Linke eine deutliche Verbesserung, ganz ohne Zweifel. 2017 war sie förmlich abgestraft worden. Alle linken Parteien zusammen hatten es auf 72, der insgesamt 577 Sitze im Parlament gebracht. Das wird jetzt anders werden. Mit 25,66 Prozent der Stimmen kommt NUPES aber nicht, wie angestrebt, als Sieger ins Ziel, sondern als Zweiter, hauchdünn hinter Macrons Bündnis Ensemble.

Mélechon hat zweitens geschafft, was bislang in Frankreich unmöglich schien, die zersplitterte und tief zerstrittene linke Opposition zu vereinen. Er hat Emmanuel Macron den Kampf angesagt, vor allem dessen liberaler Reform- und Europapolitik. Er wettert gegen die Rente mit 64, wie gegen Nato und EU. Mitten in Putins Krieg beharrt er darauf, die USA und Russland wären in gleichem Maße problematisch. Er ist erklärter Nationalist. Was an seinem Programm links sein soll, ist inhaltlich nicht erklärbar, ja nicht einmal auffindbar. Aber all das hat das linke Lager unterschrieben, ebenso wie die komplette Unterordnung unter Mélenchons Kuratel.

Hollande: Mélenchon „völlig unbrauchbar“

Ex-Präsident Hollande hatte seine Genoss*innen daher mit scharfen Worten vor „Selbstaufgabe“ gewarnt. Der Austritt aus der NATO sei nicht links. Ein Putin-Freund wie Mélenchon sei als Präsident, so wörtlich, „völlig unbrauchbar“. Die EU massiv zu schwächen sei ebenfalls keine linke Politik, sondern Verfassungsbruch. In der Wahlwoche setzte Hollande in der ARD noch eins drauf:Mélenchon predigt den Ungehorsam gegen die europäischen Verträge und er steht für eine rücksichtslose Schuldenpolitik. Das widerspricht komplett den Positionen von Präsident Macron. Wir hätten es also mit einem unvereinbaren Gegensatz an der Spitze des Staates zu tun und zugleich einem schweren Konflikt mit der EU. Es wäre also eine doppelte Krise.“

Aber exakt das ist Ziel des begnadeten Volkstribuns: Er will Präsident Macron zwingen, ihn, Mélenchon, zum Premierminister zu ernennen. Das ist eine Illusion, auch nach dem guten Ergebnis vom Sonntag. Mélenchon und NUPES verfügen über keine Mehrheit im Parlament und sie werden eine solche auch nicht herstellen können. Für eine Mehrheit bräuchte es mindestens 288 Sitze. Um die zu erreichen, müsste NUPES drei Viertel der Stichwahlen gewinnen, in die sie am Sonntag eingezogen sind. Und gleichzeitig müsste Macrons Ensemble das Gros verlieren. Das gilt als ausgeschlossen. Alle seriösen Prognosen trauen NUPES maximal 190 bis 200 Sitze zu. Das heißt, es gibt keinerlei Veranlassung, Mélenchon zum Premier zu machen.

Verfassung: Der Präsident entscheidet

General De Gaulle hat die Verfassung der fünften Republik mit voller Absicht und zu seinen persönlichen Gunsten extra so formulieren lassen, dass der Präsident gegen das Parlament regieren kann. Selbst eine klare Parlamentsmehrheit kann einen gewählten Präsidenten zwar ausbremsen, aber nicht endgültig hindern, die Politik umzusetzen, die er will. Aber Mélenchon, der, das muss noch einmal betont werden, persönlich gar nicht Mitglied des Parlaments werden wird, wird nicht einmal ansatzweise diese „Bremser-Mehrheit“ haben. Die Zahlen schwanken noch, vor allem aber steht der zweite entscheidende Wahlgang erst kommenden Sonntag an und da ist Ensemble“, das Bündnis hinter Macron, favorisiert.

Trotzdem ist das alles nicht gut. Weder für die Linke, noch für die französische Demokratie und auch nicht für den Präsidenten. Denn auch der wird voraussichtlich im Parlament keine eigene Mehrheit herstellen können. Wahrscheinlich wird das keines der Lager schaffen. Und das in einem Land, dessen Verfassung vollständig darauf ausgerichtet ist, handlungsfähige Mehrheiten herzustellen. In einem Land, das um dieser Handlungsfähigkeit willen schon seit Ende der 50er Jahre mit dem Mehrheitswahlrecht in Kauf nimmt, dass ein Großteil der abgegebenen Stimmen immer und prinzipiell verfällt. Jeder der 577 Stimmbezirke schickt am Ende ein*e Delegierte*n in die Pariser Nationalversammlung. Und auch nur diese eine Person, die den Wahlkreis gewonnen hat. Alle anderen Stimmen bleiben irrelevant, werden nicht wirksam.

Es gibt auch gute Nachrichten

Dieses grundsätzliche Defizit in der französischen Verfassung ist die Hauptursache der Politikverdrossenheit im Land und auch der Wahlabstinenz. Unabhängig von politischen Präferenzen findet eine Mehrheit die eigenen Positionen und Wünsche nicht ausreichend vertreten. Mehr noch, sie bezweifelt, dass sich daran etwas ändern ließe.

Das ist leider das wichtigste Ergebnis des Urnengangs. Unabhängig davon, wer die oder der nächste Premier wird oder mit welchen parlamentarischen und vor allem außerparlamentarischen Widerständen sich Präsident Macron in seiner zweiten Amtszeit konfrontiert sehen wird.

Ganz zum Schluss die wenigen positiven Aspekte des Wahltags: Marine Le Pens wird mit ihrem Rassemblement National zwar Fraktionsstärke erreichen, aber auch weit hinter dem Ziel von mindestens 60 Abgeordneten zurückbleiben. Der rechtsradikale Eric Zeymour ist krachend gescheitert: Weder er selbst noch sonst eine*r seiner Kandidat*innen hat es in den zweiten Wahlgang geschafft. Über 20 Sozialist*innen, die sich der Unterordnung unter Mélenchon nicht angeschlossen haben, sondern eigenständig kandidierten, haben die Stichwahl erreicht.

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Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist in Paris.

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