Meinung

Vor 20 Jahren: Als der Doppelpass möglich wurde

Am 15. Juli 1999 hat die damalige rot-grüne Bundesregierung eine Reform der Staatsangehörigkeit beschlossen. Damit wurde unter anderem die doppelte Staatsangehörigkeit möglich. Ein Paradigmenwechsel, begleitet von einer ausländerfeindlichen Kampagne.
von Stella Kirgiane-Efremidis · 15. Juli 2019
Staatsbürgerschaft
Staatsbürgerschaft

Endlich wurde mit dem „Blutrecht“ gebrochen und das Geburtsortsprinzip eingeführt. Bürgerinnen und Bürger hatten nun nach 8 statt 15 Jahren einen Anspruch, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Die Mehrstaatigkeit wurde bei Europäerinnen und Europäern und bei denen, deren Herkunftsländer generell nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen, zugelassen. Das war 1999 ein historisch bedeutender Schritt. Damit wurde das Bild vom Deutschsein grundlegend verändert.

Dem vorausgegangen waren Monate schwierigen Verhandelns und vor allem ein schmutziger Wahlkampf. In vielen Bundesländern wurde von der CDU/CSU Unterschriften in den Fußgängerzonen „gegen Ausländer“ gesammelt. Bei Diskussionsveranstaltungen wurden Menschen, die einen Doppelpass beantragen wollten, aufs schärfste kritisiert und beleidigt. Einigen, die sich damals für den Doppelpass einsetzten, wurde vorgehalten, dass man ja nicht gleichzeitig Kuh und Schaf sein könne – man müsse sich schließlich entscheiden. Wer seinen Pass nicht aufgeben wollte, wäre nicht bereit, sich zu integrieren und würde „alles haben wollen“ und obendrein noch das doppelte Wahlrecht nutzen. Für die Betroffenen, die jahrelang auf diese Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts gehofft und dafür einstanden, war es ein Spießrutenlaufen.

Integration durch Partizipation

Jenseits einer Staatsangehörigkeitsreform muss die SPD jedoch im Blick behalten, dass noch viel zu viele Menschen in unserem Land von unserer Demokratie ausgeschlossen sind. Obwohl sie schon seit Jahrzehnten in einer Stadt wohnen, arbeiten und Steuern bezahlen, dürfen sie nicht mitbestimmen, wer die Geschicke ihrer Stadt lenkt. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb sie sich nicht mitgenommen fühlen und sich nicht einbringen. Auch das kann die SPD ändern, indem ein Kommunalwahlrecht für alle Menschen, die in einer Stadt leben,  gefordert und durchgesetzt wird. Das würde unsere Gesellschaft enger zusammenbringen, die Integration unterstützen und es ermöglichen, dass alle Menschen vor Ort in politischen Fragen mit einbezogen werden.

Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts von 1999 hat uns gezeigt, dass große Schritte möglich sind, wenn auch nicht alles perfekt geregelt werden konnte. Partizipation ist für eine funktionierende Gemeinschaft wichtig und dazu gehört auch die Staatsbürgerschaft. Die SPD muss an dieser Stelle weitermachen! Mit der SPD kann der Schritt zu einem modernen Staatsangehörigkeitsrecht gemacht werden, weitere Hürden können abgebaut werden und die Mehrstaatigkeit in seiner Normalität für alle möglich gemacht werden.

Trotzdem können wir am heutigen Tag, dem 15. Juli,  stolz auf das Erreichte sein. Wir sagen Happy Birthday Staatsangehörigkeitsreform.

Autor*in
Stella Kirgiane-Efremidis

ist stellvertretende Bundesvorsitzende der AG Migration und Vielfalt in der SPD.

1 Kommentar

Gespeichert von Franz Rumpler (nicht überprüft) am Di., 30.01.2024 - 16:10

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Staatenlos und doppelte Staatsbürgerschaft – wie sich die Zeiten ändern

Geboren bin ich im Januar 1945 in Nürnberg. Meine Mutter war Kriegswitwe, mein Vater Österreicher und ist kurz vor meiner Geburt als Angehöriger der deutschen Wehrmacht in Budapest gefallen.

16 Jahre war bereits 1961 ein bedeutsames Alter: Kino ab 16 galt schon als ‚großes Kino‘ wie für Erwachsene. Zumindest fast. Dazu gehörte gleichfalls der Personalausweis. Also mit dem deutschen Kinderausweis auf zum Passamt und Antrag ausfüllen.
Franz Rumpler war nicht vorhanden. Trotz Geburtsurkunde mit Geburtsort Nürnberg in der Hand.
Ratlosigkeit am Schalter und dann Nachfrage beim Leiter. Der führte mich in ein Zimmer neben dem Schalterraum. Da gab es einen Franz Rumpler wie auf meiner Geburtsurkunde, allerdings in der Abteilung staatenlos. Fehler? Nein war die Auskunft, das sind Folgen des Zweiten Weltkriegs und der Naziherrschaft. Bis zum Kriegsende 1945 gab es das Deutsche Reich und statt Österreich hieß es aber Ostmark. Und dann hat Österreich 1955, zwar besetzt von England, Frankreich, USA und Russland die Unabhängigkeit ausgerufen.
Irgendwann und irgendwo hat es eine Bekanntmachung gegeben, sich zu melden, wenn man einen ’Migrationshintergrund‘ hat. Und jetzt saß ich da und ebenso meine Mutter. Der weitere Weg war vorgezeichnet: Es gab für mich rasch einen österreichischen Pass. Und damit ungeahnte Möglichkeiten. Denn 1961 war auch der Bau der Berliner Mauer mit Eisernem Vorhang. Und 1962 liefen die obligatorischen Berlinbesuche in den Schulen an. Fahrt nach Berlin mit dem Bus, strenge Grenzkontrolle mit barschem Ton eines ostdeutschen Uniformierten. Bis zur Sitzreihe vor mir. Dann blickte der Grenzbeamte auf meinen österreichischen Pass und sofort war Höflichkeit angesagt. Kein Wessi, sondern Angehöriger des neutralen Österreich.
Als Österreicher musste ich den berühmten Checkpoint Charly benutzen und bin auch als Transporteur für Kaffee und andere Mitbringsel zu einer Gemeinde in Ostberlin ausgesucht worden.

So weit so gut. Es gab aber zwei Haken.
Als Österreicher unterlag ich auch im Ausland der Wehrpflicht. Als Deutscher und Kriegswaise wäre ich vom Wehrdienst freigestellt.
Und bei der Berufswahl nach dem Abitur 1964 war Volksschullehrer die erste Wahl.
Nur als Deutscher stand aber das Beamtenverhältnis offen. Also Kehrtwende hin zur Einbürgerung. Kein Problem? Von wegen. Österreich wollte nicht ohne sorgfältige Prüfung einen minderjährigen Volkssohn ohne Zustimmung seiner nächsten Verwandten abgeben. Also ist das Obervormundschaftsgericht in Wien eingeschaltet worden. Die Großeltern wurden befragt und mussten zustimmen. Viel Schriftwechsel und auch Kosten. Aber dann war alles klar: Es hat eine Einbürgerungsurkunde gegeben, einen Bundespersonalausweis und einen deutschen Reisepass. Der österreichische Pass ist eingezogen worden. Doppelte Staatsbürgerschaft: unbekannt; hätte es erst 1999 gegeben.