Vier Thesen für eine sozialdemokratische Klimapolitik
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Wir sind Kanzler. Zusammen mit den Grünen und der FDP stellt die SPD die neue Bundesregierung. Wir sind an der Macht und können steuern und gestalten. Großartig. Und eine große Verantwortung.
Im Wahlkampf haben wir auch gesagt: Die SPD ist die Klimapartei. Und: Olaf Scholz – der Klimakanzler. Das gilt es jetzt einzulösen. Nicht nur, weil wir es den Wähler*innen versprochen haben. Vor allem, weil es eine historische Notwendigkeit ist. Denn der Klimawandel ist – neben der Biodiversitätskrise und weiteren Krisenphänomenen (u.a. kriegerische Konflikte, Migration, Hunger und Armut) – die entscheidende Herausforderung der kommenden Jahre.
Die Zeit drängt enorm
Schon heute hat sich die weltweite Temperatur im Durchschnitt um circa 1,1 Grad über den vorindustriellen Stand erhöht. Jedes Jahr werden es etwa 0,05 Grad mehr, so dass – wie es der Weltklimarat in seinem neuen Bericht im vergangenen Jahr ermittelt hat – die 1,5 Grad plus wahrscheinlich in sieben bis zehn Jahren erreicht sind. Die Grenze also, ab der die weltweite Wissenschaftsgemeinde mit mehr oder weniger unumkehrbaren Folgen für die Ökosysteme rechnet.
Sieben bis zehn Jahre – bei heutigem Emissionsgeschehen. Und die weltweiten jährlichen Emissionen steigen leider weiterhin an. Die Zeit drängt also enorm. Es bedarf endlich und sofort Maßnahmen, die die Emissionen weltweit drastisch senken.
Ein 1,5-Prozent-Szenario bedeutet etwa eine 50-Prozent-Temperatursteigerung gegenüber heute. Und damit mindestens 50 Prozent mehr an Extremwetterereignissen und der damit verbundenen Folgen: Die Zahl der erwartbaren Toten, der Zerstörungen und der Veränderungen von Natur und Landschaft können Modellierer sicher ermitteln. Klar ist: Selbst bei einem Plus von nur 1,5 Grad – der in Paris 2015 vereinbarten Zielvorgabe – werden die Folgen dramatisch sein.
Vier Thesen für eine sozialdemokratische Klimapolitik
Es geht für die SPD also darum, ihr Versprechen einzulösen und das Notwendige zu tun – aber wie ? Dazu nachfolgend vier Thesen zu einer sozialdemokratischen Klimapolitik. Nummer eins: Klimapolitik kann nur mit der SPD gelingen, weil Transformation der Wirtschaft und Industrie die Kernkompetenz der SPD ist. Die SPD wird also gebraucht. Nummer zwei: Die SPD muss eine sozial gerechte Klimapolitik sicherstellen. Ansonsten droht eine politische Spaltung der Gesellschaft. Nummer drei: Die SPD muss sich neuen, ungewohnten Fragen und Herausforderungen etwa nach einem „guten Leben“ jenseits des materiellen Wachstums stellen. Auch hier muss Teilhabe- und Verteilungsgerechtigkeit mitgedacht werden. Nummer vier: Die SPD ist gut beraten, sich an ihre Wurzeln zu erinnern und wieder mehr auf gesellschaftlichen Kampf zu setzen.
Zu Nummer eins: Klimapolitik braucht vor allem eine grundlegende Neuausrichtung des wirtschaftlichen Handelns. Industrie, Dienstleistungsgewerbe, Handwerk, aber auch der öffentliche Dienst müssen sich in Bezug auf die benötigte Energie, die Beschaffung der Rohstoffe (soweit erforderlich), die Produktion und die Produkte am Maßstab der Klimaneutralität orientieren. Ein gigantisches Umbauprojekt.
Aber auch nur ein Umbauprojekt, das mit Weitsicht und klugen Maßnahmen – auch ordnungsrechtlicher Rahmensetzung – durch den Staat im besten Sinne angeleitet und orchestriert werden muss. Eine Transformation, die an den vielen verschiedenen Standorten mit den sehr unterschiedlichen Bedingungen realisiert werden muss. Der Großraum München verlangt anderes als etwa die Kleinstadt Lübeck.
Die Kernkompetenz der SPD
Der Umbau von Industrie und Wirtschaft – ist eine der Kernkompetenzen der SPD wie die Geschichte der SPD in der Bundesrepublik zeigt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: In den 50er und 60er Jahren hat die SPD mit der sozialen Ausrichtung der Marktwirtschaft eine fundamentale Neuausrichtung durchgesetzt. In den 60er und 70er Jahren hat Brandt die Demokratisierung der Gesellschaft vorangetrieben und damit wirtschaftliche Potentiale durch neue Formen des respektvollen Miteinanders freigesetzt.
Die SPD hat auch – wie keine andere Partei – die Nähe zu den Gewerkschaften und den Arbeitnehmer*innenvertretungen. Sie hat das Gespür für die Nöte und Bedarfe der arbeitenden Menschen. Und kann diese Erwartungen politisch vermitteln und Lösungen mit den Arbeitnehmer*innen durchsetzen.
Klimapolitik – sozial gerecht
These Nummer zwei: Schon allein aus diesen beiden Gründen kann eine Klimapolitik nur mit der SPD gelingen. Es geht aber um Mehr. Klimapolitik muss auch sozial gerecht gestaltet werden. Ansonsten kann sie zu einer politischen Spaltung der Gesellschaft führen und an Widerständen scheitern, wie die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich zeigt.
Soziale Gerechtigkeit ist SPD. Sie ist sozusagen in der DNA der SPD angelegt, auch wenn es einige Verwirrungen (etwa Hartz 4) in der langen Geschichte der SPD gab.
Sozial gerechte Klimapolitik. Oft vorgetragen, oft eingefordert. Aber was heißt das? Vier Punkte: Erstens: Klimapolitik ist nur dann sozial gerecht, wenn sie versteht und darauf abzielt, dass alle Menschen – trotz der notwendigen Veränderungen von Industrie, Wirtschaft, Handwerk und öffentlicher Verwaltung – eine gute „ökonomische Lebensgrundlage“ haben. Mit anderen Worten: eine Arbeit, von der man gut leben kann und die eine*n zufrieden macht. Mit diesem Anspruch muss Klimapolitik betrieben werden. Das ist Sozialdemokratie.
Mehr Umverteilung und gesellschaftliche Verantwortung
Zweitens: Sozial gerecht ist, die in Anspruch zu nehmen, die genug haben und die den „wesentlichen Klimafußabdruck“ verursachen. Es sind die 50 Prozent wirtschaftlich Starken in Deutschland und Europa, deren Konsummuster zu erheblichen Emissionen führen. Sie müssen verpflichtet werden, ihren Ressourcenverbrauch und Klimafußabdruck drastisch zu verringern. Und sie sind vor allem in Anspruch zu nehmen, im Wesentlichen die notwendigen Transformationsmaßnahmen zu finanzieren.
Drittens: Die SPD muss klimapolitische Lösungen auch die wirtschaftlich Schwachen entwickeln. Die also etwa, die von Sicherungssystemen leben oder ein Einkommen nahe des Mindestlohns haben. Entscheidend ist, dass die gesellschaftliche Gruppe nicht noch zusätzlich belastet wird.
Viertens: Es ist nicht Aufgabe der Klimapolitik, die soziale Ungleichheit in Gänze aufzulösen. Dafür brauchen wir andere Instrumente, wie ein höheres Bürgergeld, einen angemessenen Mindestlohn, mehr betriebliche Mitbestimmung, Umverteilung und mehr gesellschaftliche Verantwortung, Respekt und Demut bei den Privilegierten.
Die Grünen „fühlen“ nicht die soziale Frage
Auch wenn die Grünen berechtigterweise für sich in Anspruch nehmen, Ökologie und Klima – zusammen mit gesellschaftlichen Bewegungen wie in den letzten Jahren vor allem Fridays for Future – auf die politische Tagesordnung gesetzt zu haben, mit der Aufgabe des Umbaus von Industrie und fremdeln sie. Es fehlen ihnen oftmals das Verständnis und auch die notwendigen Netzwerke. Und die Grünen „fühlen“ auch nicht die soziale Frage. Dafür braucht es die SPD. Mit dieser Agenda müssen wir Klimapolitik betreiben.
Wichtig ist noch: Klimapolitik ist für sich genommen Sozialpolitik. Denn die Folgen des Klimawandels werden immer vor allem die wirtschaftlich Schwachen treffen. Das gilt für Deutschland, aber im besonderen Maße für Menschen in Entwicklungsländern. Wirtschaftlich Starke werden sich noch einige Zeit „freikaufen“ können. Klimaschutz an sich bewahrt also immer auch die wirtschaftlich Schwachen vor den potentiell dramatischen Folgen.
Die SPD muss sich ungewohnte Frage stellen
These Nummer drei: Die SPD muss dazulernen, sich neuen und ungewohnten Fragen stellen. Klimapolitik ist eben nicht nur die Transformation der heutigen Industrie und Wirtschaft Richtung Klimaneutralität. Es verlangt auch eine grundlegende Neuorientierung unter anderem zur Minderung des Ressourcenverbrauchs. Denn unter Klimawissenschaftler*innen ist unbestritten, dass der Einsatz von Ressourcen sich nicht kontinuierlich erhöhen darf. Denn für die Gewinnung, Verarbeitung, Verwendung und Entsorgung ist zusätzlich Energie erforderlich. Es ist jetzt schon eine riesige Kraftanstrengung, die Transformation der Energiewirtschaft Richtung Erneuerbare zu realisieren. Zusätzliche Energiebedarfe wegen wachsendem Ressourceneinsatz sind nicht abzupuffern.
Ferner werden durch Ressourcengewinnung und -einsatz praktisch immer Natur und Landschaft mindestens beeinträchtigt, wenn nicht zerstört. Was wiederum zu Emissionen und Beeinträchtigungen der Biodiversität führt.
Eine Orientierung nur am materiellen Mehr ist daher klimapolitisch nicht machbar. Es bedarf daher insbesondere einer Diskussion über „gutes Leben“ jenseits des reinen materiellen Wohlstands. Auch Gewohnheiten wie Fleischkonsum, PKW-Nutzung, Fernreisen und immer größere Wohnungen müssen auf die Tagesordnung. Fragen, mit der die SPD bislang hadert und für die es noch keine befriedigenden Antworten gibt. Hier besteht also erheblicher Diskussionsbedarf.
Wichtig ist auch hier die soziale Dimension: Bewegen müssen sich vor allem diejenigen, die einen großen oder genauer zu großen Klimafußabdruck haben. Als ein Orientierungspunkt kann also gesagt werden: „Suffizienz“ (Genügsamkeit, ggf. auch Verzicht) muss mit Umverteilung des Wohlstands als Ausdruck sozialer Gerechtigkeit zusammengedacht werden.
„Allianz der Willigen“ für Veränderung
These vier: Die SPD sollte sich an ihre Wurzeln erinnern. Sozialdemokratische Politik darf nicht nur „staatliche Politik“ sein. Die SPD ist die Partei der Arbeitnehmer*innen. Der Kampf um Arbeitnehmer*innenrechte ist unsere Geschichte. Das hat die SPD lange Zeit getragen.
Wir brauchen das wieder. Die Verbindung mit den gesellschaftlichen Kräften, die für Veränderung stehen und die sich dafür einsetzen wollen. Für eine „Allianz der Willigen“. Für eine Aufbegehren und auch den Mut zu „stören“.
Auch Klimapolitik kann nicht nur von oben verordnet werden. Staatliche Rahmensetzung ist in jedem Fall unerlässlich. Aber: Die Veränderungen müssen aus der Mitte der Gesellschaft kommen, einer Gesellschaft, die heute so heterogen, bunt und – endlich nach dem Mehltau der großen Koalitionen – wieder lebendig ist. Und die Veränderungen müssen sehr schnell kommen und in der Sache grundlegend sein.
Erinnern wir uns, wo wir herkommen.
Die SPD ist daher sehr gut beraten, die Nähe zu allen zivilgesellschaftlichen Akteuren – Gewerkschaften, Betriebe, Handwerk, Industrie, Kirchen, Hochschulen, Verbänden – zu suchen, um zu lernen, „Allianzen der Willigen“ entwickeln und Lösungen voranzutreiben und durchzusetzen. Gute Beispiele auf allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – sind notwendig, um eine Dynamik der Veränderung erzeugen zu können.
Die im Koalitionsvertrag angesprochenen „Allianzen für Transformationen“ basieren auf dem Gedanken, dass eine solche Dynamik erforderlich ist. „Allianzen der Transformation“ – oder „der Willigen“, wie ich das nenne – werden auch gebraucht, um sich gegenüber denjenigen behaupten zu können, die am Status quo festhalten wollen, um ihre Privilegien und ökonomische Vorteile zu sichern.
Erinnern wir uns, wo wir herkommen. Erinnern wir uns, was uns stark gemacht hat. Die Nähe zur Gesellschaft, in Verantwortung für die Menschen und in dem gemeinsamen Bestreben für eine gute – im Sinne dieses Beitrags – klimaverträgliche Zukunft. Das ist SPD.
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ist Sprecher des Arbeitskreises Klimawandel, Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften der SPD Bremen Stadt sowie Mitglied des SPD-Klimaforums.