Udo Bullmann: Wir müssen dafür sorgen, dass Steuersümpfe trockengelegt werden
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Briefkastenfirmen, Strohmänner, Schwarzgeld, was Lux Leaks und Panama Papers enthüllten klingt nach Krimi, doch Steuerhinterziehung und -vermeidung im industriellen Ausmaß ist Alltag. Tagtäglich betrügen multinationale Großkonzerne und Superreiche die Allgemeinheit um Milliarden. Jedes Jahr gehen in der EU Schätzungen zufolge 1.000 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung und -vermeidung verloren.
Steuerflucht schadet uns allen
Steuerkriminalität ist kein Kavaliersdelikt sondern beschädigt unser Gesellschaft schwer. Zum einen fehlen diese Milliarden, um nachhaltigen Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und die öffentliche Daseinsvorsorge zu fördern. Entweder werden die an den Finanzämtern vorbei geschleusten Gelder dann in Steueroasen gebunkert oder fließen in Finanzaktivitäten. Damit vergrößert sich die Liquidität auf den Finanzmärkten und trägt zu gefährlichen Blasenbildungen bei – platzen die Blasen trägt dann wieder die Allgemeinheit den Schaden.
Eigentum verpflichtet, sagt das Grundgesetz. Doch viele sehen das leider anders. Alleine 2017 erzielte Amazon Einnahmen von 25 Milliarden Euro in Europa – zahlte jedoch kaum Steuern. Es kann nicht angehen, dass der Bäcker um die Ecke seine Steuern, da zahlt, wo er lebt und arbeitet, während große Unternehmen mit Kleckerbeträgen davonkommen. Da entsteht leicht der Eindruck, der Ehrliche sei der Dumme. Dieses Gefühl ist Sprengstoff für die Solidarität und den Zusammenhalt in einer Gesellschaft.
Steuergerechtigkeit in fünf Schritten
Steuerflucht von global mobilen Einkommen werden wir alleine mit nationalen Methoden nicht beikommen können. Wir müssen auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass Steuersümpfe trockengelegt werden. In den kommenden fünf Jahre wollen wir Europäischen Sozialdemokraten fünf konkrete Ziele für mehr Steuergerechtigkeit durchsetzen:
Erstens, ein Unternehmensmindeststeuersatz von 18 Prozent, der in ganz Europa gilt. Damit ziehen wir eine untere Grenze ein, die Steuerdumping und Unterbietungswettkampf zwischen EU-Ländern begrenzt. Damit alle ihren fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwohls tragen.
Zweitens, die Kriterien für Steueroasen verschärfen. 2017 stellte die EU zum ersten Mal eine schwarze Liste der Steueroasen auf, nicht zuletzt als Reaktion auf den wachsenden Druck der Sozialdemokraten und der Zivilgesellschaft. Dieser Erfolg hat schon einiges ins Rollen gebracht und für mehr Transparenz gesorgt, doch einige Länder etwa aus der EU, die auf die Liste stehen sollten, fehlen bislang noch – deshalb: nachjustieren.
Digitale Dienstleistungssteuer bringt 10 Mrd Euro
Drittens, eine digitale Dienstleistungssteuer einführen: eine Umsatzsteuer für große Unternehmen wie Google, Apple, Facebook oder Booking. Die aktuellen Steuerregeln sind schlichtweg überholt. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts für eine analoge Wirtschaft konzipiert. Online-Unternehmen operieren im virtuellen Raum ohne Bindung an einen bestimmten Unternehmensstandort und können damit fast frei wählen, in welchem Land sie welche Gewinne geltend machen – etwa in einer Steueroase. Eine Digitalsteuer könnte jedes Jahr bis zu 10 Milliarden Euro einbringen.
Viertens, schädliche Steuerpraktiken unterbinden, die es multinationalen Unternehmen und reichen Eliten ermöglichen, Gewinne und Vermögen über aufwändige Steuerkonstruktionen in Länder zu verlagern, wo die Steuersätze niedrig sind oder bei null liegen. "Double Irish" oder "Dutch Sandwich" muss der Riegel vorgeschoben, "Cum-Ex" und "Cum-Cum"- Geschäfte effektiver verfolgt und schärfer bestraft werden. Die EU kann zum Beispiel mit einem neuen EU-Unternehmensrecht Briefkastenfirmen verbieten. Unternehmen können nur dann ihren Sitz verlagern, wenn wirtschaftliche Tätigkeit in dem Land stattfindet.
Fairer Beitrag zum Gemeinwohl als Ziel
Fünftens, auch in Fragen des Steuerrechts das lähmende Einstimmigkeitsprinzip im Rat abschaffen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Denn solange EU-Länder, deren Erfolgsmodell darauf basiert, eine Steueroase oder ein Niedrigsteuerland zu sein, Maßnahmen blockieren können, wird sich nicht viel bewegen. Deshalb brauchen wir endlich Mehrheitsentscheidungen und damit größere Handlungsfähigkeit im Rat der Finanzminister.
Für alle muss der gleiche Grundsatz gelten: Steuern werden dort bezahlt werden, wo auch die Gewinne erwirtschaftet werden. Damit sich niemand mehr durch Tricksereien, Schlupflöcher oder Straftaten aus der Verantwortung stehlen kann, seinen fairen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.
Udo Bullmann ist entwicklungspolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament (S&D-Fraktion) und Europabeauftragter im SPD-Parteivorstand.