Trotz Corona: Der Entzug von Freiheitsrechten muss eine Ausnahme bleiben
Florian Gaertner/photothek.net
Kontaktverbote, Ausgangssperren, Quarantäne – noch vor wenigen Wochen wäre vieles von dem, was heute unseren Alltag bestimmt, undenkbar gewesen. Innerhalb von nur wenigen Tagen wurde ein Großteil unserer Grundrechte eingeschränkt. Hätte uns jemand vor sechs Wochen unser heutiges Leben vorhergesagt wir hätten ihn wohl als Verschwörungstheoretiker diffamiert. Doch das wirklich Erstaunliche ist die große Bereitschaft innerhalb der Bevölkerung die Freiheitseinschränkungen zu akzeptieren. Die Bilder aus Italien, das Wissen um die Zugehörigkeit zur eigenen Risikogruppe und das Bewusstsein für die Dringlichkeit vieler Maßnahmen ließen fast überall eine große Bereitschaft erkennen, einen Beitrag zur Lösung dieser Krise zu leisten.
Ausnahmezustand der Demokratie
Ein paar Tage lang sah es so aus, als würde ein Großteil der Bürger*innen diese Einschränkungen bis zur kompletten Ausgangssperre kritiklos mittragen. Schließlich hatte sich eine Art föderaler Überbietungswettbewerb etabliert, nach dem Motto: je restriktiver umso besser. Erst langsam setzt ein Umdenken ein, das zeigt, dass die Spirale in Richtung immer stärkerer Einschränkungen kein Automatismus ist. Vielmehr müssen die Maßnahmen im angemessenen Verhältnis zur Einschränkung unserer Freiheitsrechte stehen.
Die SPD spielt in diesem Zusammenhang sowohl in den Ländern als auch im Bund eine wichtige Rolle als Mahnerin, diese Verhältnismäßigkeit zu wahren und um auf die zeitliche Befristung der getroffenen Maßnahmen zu drängen. Denn klar ist auch: Diese Einschränkung unserer Grundrechte darf kein Dauerzustand sein. Sie sind ein absoluter Ausnahmezustand einer Demokratie.
Die Stunde der Parlamente
Deshalb kommt in dieser Krise auch den Parlamenten eine wichtige Funktion zu. Es ist gut und wichtig, dass die Exekutive entschlossen handelt. Aber das darf in einer Demokratie nicht zur Aushöhlung parlamentarischer Rechte führen. Gerade jetzt sind Parlamentarierinnen und Parlamentarier gefragt, die getroffenen Maßnahmen immer wieder zu überprüfen und der aktuellen Gefahrenlage anzupassen.
Das gilt auch für die aktuelle Diskussion um die Auswertung von Handydaten. Seit einigen Wochen wird der Einsatz einer App diskutiert, um die Kontakte von Infizierten nachverfolgen zu können. Hier hat sich gezeigt wie wichtig ein genaues Hinsehen ist, auch in der Krise. Nach Kritik musste Jens Spahn seinen Vorstoß erstmal zurücknehmen. Zwar ist diese Möglichkeit nicht generell abzulehnen, jedoch sollte genau hingeschaut werden, ob die angedachten Optionen wirklich geeignet sind, das Virus weiter einzudämmen. Für die Ortung über Funkzellen gilt das mit Sicherheit nicht. Zu ungenau lässt sich die Lokalisierung damit feststellen, um Kontaktpersonen zu identifizieren. Vielversprechender und datensparsamer ist dagegen eine Anwendung über Bluetooth, wie sie Ulf Burmeyer beim Treffen des digitalen Quarantäne Ortsvereins vorgestellt hat.
Das Prinzip der Freiwilligkeit funktioniert
Das bedeutet, dass Menschen freiwillig eine App installieren, anhand derer Daten im Infektionsfall an einen Server übertragen werden, der die betroffenen Handys, die sich in unmittelbarer Nähe befunden haben, informiert. Dazu bedarf es keiner personenbezogenen Daten und es wäre trotzdem sichergestellt, dass die betroffenen Personen sich in Quarantäne begeben können. Dass das Prinzip der Freiwilligkeit funktionieren würde, zeigt eine dazu in Auftrag gegebene Studie, wonach 70 Prozent der Befragten bereit wären, eine solche App zu installieren. Es geht hier nicht um Privatsphäre oder Gesundheit, sondern um verantwortliche Technologie gegen eine unveranwortliche Technologie.
Das Beispiel macht deutlich, dass wir gut beraten sind, nicht blind jeden Vorschlag zur Bekämpfung des Virus mitzugehen, sondern genau hinzuschauen und konstruktive Vorschläge für Lösungen zu machen, die einen Eingriff in die Freiheitsrechte soweit reduzieren wie möglich. Das Beispiel zeigt, dass wir unsere Diskussionsfreude auch in der Krise nicht verlieren dürfen. Sie ist die Stärke einer Demokratie. Es darf keine Selbstverständlichkeit für den Entzug der Freiheitsrechte geben. Es gilt: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.
ist Mitglied in der Netz- und Medienpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand und Vorsitzender der SPD Alexanderplatz.