Meinung

Trotz Corona: Bei Klima und Rente nicht auf Pause drücken

Das Coronavirus hat die Welt binnen weniger Wochen in den Ausnahmezustand versetzt. Andere Probleme machen deshalb aber keine Pause, sondern werden mit noch größerer Wucht zu Tage treten, wenn jetzt nicht gehandelt wird.
von Benedikt Dittrich · 27. März 2020
Die Welt mit ihren Problemen dreht sich weiter – auch wenn sie wegen der Coronakrise zurzeit scheinbar still steht.
Die Welt mit ihren Problemen dreht sich weiter – auch wenn sie wegen der Coronakrise zurzeit scheinbar still steht.

Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamts, warnte vor wenigen Tagen mit eindringlichen Worten. „Wir sind in einem Corona-Krisenmodus“, sagte er bei der Vorstellung der deutschen Klimabilanz 2019, „aber wenn wir jetzt den Klimaschutz in Deutschland, Europa und weltweit nicht massiv vorantreiben, kommen wir in den nächsten globalen Krisenmodus, der dann klimagetrieben sein wird.“ Eine eindringliche Warnung, die in der öffentlichen Diskussion über Hamsterkäufe, fehlende Atemmasken und Infektionsraten zur Randnotiz wurde.

Es ist nachvollziehbar, dass die unmittelbaren Sorgen, Veränderungen und Einschränkungen, die die Corona-Pandemie mit sich bringen, derzeit mehr Aufmerksamkeit erhalten als abstrakte Probleme am Horizont. Hilfe und Solidarität sind jetzt gefragt, die Infektionsrate muss jetzt gesenkt werden. Aber dennoch wird es mit jedem Tag wichtiger zu betonen, dass im Schatten von Corona andere Probleme nicht kleiner werden.

Klimawandel nicht weniger gefährlich

Klar: Der Klimawandel sorgt nicht binnen weniger Tage für überfüllte Krankenhäuser in Europa oder schickt die Aktienkurse in wenigen Stunden auf eine historische Talfahrt. Trotzdem bleibt das Problem akut. Denn der Klimawandel bedroht ebenso die ganze Welt, wird vermutlich Flüchtlingsströme unbekannten Ausmaßes auslösen und Milliarden von Menschen in ihrem Alltag einschränken. Nur passiert das eben nicht von heute auf morgen. Während in der Corona-Pandemie die Welt binnen weniger Wochen aus den Fugen geraten ist, hebelt der Klimawandel Stück für Stück die Welt aus den Angeln.

Allerdings greifen auch die Maßnahmen gegen den Klimawandel wesentlich langsamer: CO2-Emissionen wirken über Jahrzehnte in der Atmosphäre, der Umbau der Stromversorgung ist eine Aufgabe für Jahrzehnte. Trotzdem macht der Klimawandel jetzt keine Pause, nur weil die Menschheit gerade gegen eine hochinfektiöse Grippe kämpft. Das gilt ebenso für andere Themen, über die bis vor wenigen Wochen in den Parlamenten und den Medien noch hitzig diskutiert wurde. Dabei sind sie teilweise nicht weniger: Die zehntausenden Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze etwa harren weiterhin auf engstem Raum unter katastrophalen hygienischen Zuständen aus. Allgemein geht es in der EU-Flüchtlingspolitik nur schleppend voran, während weiterhin im Mittelmeer Flüchtlingsboote kentern und Menschen sterben.

Grundrente nicht auf Eis legen

Und auch in Deutschland gibt es Tendenzen, wichtige politische Entscheidungen zu vertagen: Während gerade alle auf die Stabilität des Gesundheitssystems blicken, will die CDU beispielsweise die Entscheidung zur Grundrente – mal wieder – auf Eis legen. Dabei würde die Grundrente einmal besonders denjenigen zu Gute kommen, die zu einem Großteil gerade das öffentliche Leben am Laufen halten: den Verkäufer*innen, die in den Supermärkten die Regale einräumen, den Pfleger*innen, die in den Kliniken und Seniorenheimen Alte und Kranke umsorgen und vielen mehr. Auf der einen Seite diese Menschen für ihren Einsatz loben, ihnen aber auf der anderen Seite eine bessere Rente versagen – ein mieses Spiel.

Teilweise legt die Corona-Krise wieder Wunden frei, an denen seit Jahren herumgedoktert wird. Beispiel Digitalisierung: Während halb Deutschland nun Videokonferenzen abhält und mehr Zeit online verbringt, haben Streaminganbieter die Übertragungsqualität gesenkt, um die Kapazitäten der digitalen Infrastruktur nicht zu überlasten. Gleichzeitig wird sichtbar, dass im Bildungssystem die Digitalisierung noch in den Kinderschuhen steckt, digitale Lernplattformen wurden in den vergangenen Jahren nur stiefmütterlich behandelt. Ob und inwiefern die Reserven im Gesundheitssystem für Epidemien wie diese ausreichen oder in den vergangenen Jahren aus Kostengründen vielleicht zu weit zurückgefahren wurden, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten erst noch zeigen.

Die Liste ließe sich noch weiterführen – klar ist aber schon anhand dieser Beispiele: Was in den vergangenen Jahren an Problemen verschleppt wurde, tritt jetzt in Krisenzeiten offen zutage. Und was in Krisenzeiten auf die lange Bank geschoben wird, könnte sich in der Zukunft rächen. Wer jetzt zu lange auf die Pause-Taste drückt, riskiert, dass wir nach der Corona-Krise direkt zur nächsten Krise vorspulen können.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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