Meinung

SPD: Wir brauchen einen Pakt für bezahlbares Wohnen

Die Probleme auf dem Wohnungsmarkt sind zu ernst für Polemik. Enteignungen kosten viel Geld für Entschädigungen, ohne auch nur eine einzige neue Wohnung zu schaffen. Der Staat muss den Wohnungsbau als Daueraufgabe verstehen, ohne ihn konjunkturellen Schwankungen zu opfern.
von Cansel Kiziltepe · 11. April 2019
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Was sind es für Unternehmen, die Mieter so verängstigen, dass ihre Enteignung gefordert wird? Die Debatte in Berlin offenbart eine existenzielle Angst der Menschen um ihre Wohnung und ihre soziale Sicherheit. Die durch Umfragen belegte Zustimmung zu der Forderung zeigt, dass das Thema weder Polemik noch Leichtfertigkeit verträgt.

Die Menschen verbinden mit den Unternehmen, die doch Partner und nicht Gegner ihrer Mieter sein sollten, reale Ängste: Es geht nicht nur um Mieterhöhungen, sondern um den Verlust des eigenen Zuhauses, vielleicht einem Stück Heimat und sogar Angst vor sozialem Abstieg. Der Fall eines 89jährigen Rentners, dem nach 44 Jahren die Wohnung gekündigt werden soll, mag ein extremes Beispiel sein, das einzige ist es nicht.

Enteignung als letztes nicht als erstes Mittel

Enteignung – allein der Begriff versetzt viele Gemüter in Unruhe, lässt alte Feindbilder aufer­stehen und scheint das Gedächtnis zu trüben: In unserem  Grundgesetz sind in den Artikeln 14 und 15 Enteignung und Vergesellschaftung verankert. Allerdings schon dort als ultima ra­tio und nicht ohne Berücksichtigung des Schutzes des Eigentums.

„Enteignungen“ zieht kaum jemand als Möglichkeit in Zweifel, wenn es bei der Umlegung im Bebauungsplanverfahren darum geht, baureife Grundstücke zu bekommen. Auch beim Bau von Verkehrstrassen ist die Enteignung ein Mittel im Planfeststellungsverfahren. „Enteig­nung“ ist in solchen Fällen nichts Ungewöhnliches. Warum ist das so? Weil sie plausibel ist, weil das Gemeinwohl sie rechtfertigt, weil sie zum Gelingen beiträgt.

Erhebliche Zweifel an Verstaatlichungen

Wäre das auch der Fall, würde es zu maßgeblichen Verstaatlichungen von Wohnungsbestän­den in Berlin kommen? Die geringere Quote des landeseigenen Mietwohnungsbestandes von 18,3 Prozent würde sich verbessern. Doch wer von einem öffentlichen Wohnungsbestand in den Größenordnungen Wiens träumt, vergisst die in Deutschland in vielen Städten massive Privatisierungsphase des Wohnungsbestandes bis zur Aufgabe des gemeinnützigen Woh­nungsbaus Ende des letzten Jahrhunderts.

Darüber hinaus gibt es erhebliche Zweifel, die Frage nach Verstaatlichungen zu bejahen: Un­gewiss ist, ob die Rechtsgrundlage ausreichend ist, die Voraussetzungen erfüllt sind, die Wertermittlung gelingt, die Entschädigung finanzierbar ist und vor all diesen Ungewisshei­ten: ob es den Mieterinnen und Mietern nutzt und gut für die Zukunft ist.

Mehr Fragen als Lösungen

Verstaatlichung schafft keine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt, schafft auch keine neuen Wohnungen, bindet Finanzen, die eben für notwendige Investitionen fehlen.

Was wäre übrigens besser: die öffentliche Hand baut selbst preiswerten Wohnraum oder sie entschädigt ein Unternehmen mit Geld, das ihre Handlungsfähigkeit einschränkt, während dass enteignete Unternehmen mit „frischem Geld“ erneut nicht in preiswerten Wohnraum investiert? Kurzum: der Weg wirft wahrscheinlich mehr Fragen auf als das er Probleme löst. Dies wäre eher der Fall, wenn unbestreitbar und dauerhaft der öffentliche und gemeinwohl­orientierte Wohnungssektor gestärkt wird.

Verhärtete Fronten aufbrechen

Ohne die verhärteten Fronten aufzubrechen, wird es nicht gehen. Der Unmut über die gro­ßen Immobilienunternehmen ist riesig. Viele in der Wohnungswirtschaft, zuallererst einige der großen Immobilienunternehmen, haben allen Grund, ihr Verhältnis zur gesellschaftli­chen Verantwortung der Wirtschaft kritisch zu reflektieren und konkret zu ändern: „Eigen­tum verpflichtet! Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ (Art. 14 GG). Wer daran erinnert, begeht keinen Tabubruch, sondern steht auf dem Boden unserer Verfassung.

Die wirtschaftsliberale Haltung nach dem Motto „Privat vor Staat“ war ideologisch geprägt und hat pragmatische Politik mehr verhindert als ermöglicht. Die jüngste Geschichte der Wohnungsmarktpolitik ist eine Ansammlung von Fehlentscheidungen: zum Bedarf, der  Rolle des Marktes, der Bedeutung des Rechts auf Wohnen, zum Sicherung der Daseinsvorsorge durch die öffentliche Hand. So geht es nicht weiter.

Was tun?

  1. Um gutes Wohnen und funktionierende Nachbarschaften für uns alle zu erhalten, brauchen wir etwas wie einen „New Housing Deal“, will sagen, einen Pakt für bezahl­bares Wohnen. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in gemeinsamer Verantwortung und zum allgemeinen Nutzen wäre wirksamer als auf unvermeidliche Reaktionen der Politik zu warten.
  2. Die soziale Verpflichtung des Eigentums muss ernst genommen werden. Dazu be­darf es einer politischen Kultur, die den wirtschaftlichen Akteuren Spielräume lässt und die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum mitträgt.
  3. Der Beitrag privater Wohnungsunternehmen zur Lösung der Wohnungsnot wird nur dann auf Akzeptanz stoßen können, wenn sie sich erkennbar nicht nur den Aktionä­ren durch kurzfristige Renditen verpflichtet fühlen, sondern sich auch sozialen Grund­regeln verpflichten, die langfristige Stabilität (und Rentabilität) sichern.
  4. Fairness-Regeln müssen dafür Sorge tragen,  dass Härtefälle auch als solche behan­delt werden. Beispielsweise dürfen Menschen im hohen Alter nicht mehr aus ihrer Wohnung vertrieben werden.
  5. Die öffentliche Hand muss den Wohnungsbau als Daueraufgabe verstehen, die nicht konjunkturellen und demografischen Schwankungen geopfert werden darf. Langfris­tige Investitionssicherheit schafft Kapazitäten und bezahlbaren Wohnraum. Damit verbunden muss die Zusage erfolgen, die öffentlichen Investitionen zu stärken und den Mietenanstieg zeitlich  befristet zu begrenzen bis sich der Wohnungsmarkt wie­der entspannt.
  6. Auch die Bürgerinnen und Bürger sind Teil dieses New Deal: Neubau ist eine Antwort auf Notlagen, die nicht mit dem St. Florians-Prinzip („Not in my backyard“) beantwor­tet werden darf.
  7. Aus gutem Grund darf das Recht auf Wohnen nicht zur Ware und zum Renditeobjekt ohne Rücksicht auf die betroffenen Menschen verkommen. Wohnungsbau und Stadt­entwicklung gehören unverbrüchlich zusammen und sind eine zutiefst soziale Veran­staltung: funktionierende Nachbarschaften,  der Kiez als Heimat, ist immer auch ein Ort sozialer Vielfalt. Auch dafür muss Konsens geschaffen werden.

Aus guten Gründen wird die Wohnungspolitik die zentrale soziale Frage in Deutschland ge­nannt. In einer Vielzahl großer Städte, zuvorderst in Berlin, ist die Lage am Wohnungsmarkt dramatisch. Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit kumulieren mit einer renditegetrie­benen Immobilienwirtschaft zu einer sozial angespannten, nicht mehr akzeptablen sozialen Lage für viele Mieterinnen und Mieter. Schnelle Hilfe ist nötig, aber selbst bei gutem Willen braucht sie Zeit. Mit einem „New Housing Deal“, also einem „Pakt für bezahlbares Wohnen“ bestünde die Chance, die Kräfte zu bündeln, Zeit zu sparen statt sie in aussichtslosen Kämp­fen zu investieren.

* Dieser Text ist am 11. April 2019 in einer Kurzform im Berliner Tagesspiegel erschienen.

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Cansel Kiziltepe
Cansel Kiziltepe

ist Senatorin für Arbeit und Soziales in Berlin sowie Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit (AfA) der SPD.

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