Meinung

„Sozialtourismus“ aus der Ukraine? Schämen Sie sich, Herr Merz!

Zwar ist der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz inzwischen wieder zurückgerudert. Doch angesichts der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine von „Sozialtourismus“ zu sprechen ist schäbig und offenbart Merz' wahre Geisteshaltung. Ein Kommentar.
von Jonas Jordan · 27. September 2022
Friedrich Merz schaut auf sein Handy.
Friedrich Merz schaut auf sein Handy.

Ein Sympathieträger war Friedrich Merz noch nie. Schon während seiner ersten politischen Karriere vor gut 20 Jahren eckte der Sauerländer – damals noch als junger Hoffnungsträger der Konservativen – gerne mit seinen Äußerungen und Positionen an. Im vergangenen Jahr das große Comeback: Direktmandat, Parteivorsitz, Fraktionschef. Friedrich Merz als neuer starker Mann der CDU/CSU und Oppositionsführer im Bundestag. Passend dazu versuchte er, sich ein neues Image zu verpassen, eines als Kümmerer, der Armut im Blick hat und sich solidarisch mit den Menschen in der Ukraine zeigt.

Solidarität zeigen

Doch in dieser Woche hat Merz mal wieder seine wahre Geisteshaltung offenbart. Rund 750.000 Menschen sind seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Sie unterzubringen, zu registrieren und angemessen zu versorgen, ist ein Kraftakt für Städte und Gemeinden. Doch einer, der gelingt, weil viele Menschen Solidarität zeigen, spenden, sich ehrenamtlich engagieren, sich unterhaken, wie Bundeskanzler Olaf Scholz es gerne ausdrückt.

Merz' Behauptung im Interview mit einem allseits bekannten Boulevardmedium am Montag, wir erlebten mittlerweile eine Art Sozialtourismus aus der Ukraine nach Deutschland, ist schäbig und in hohem Maße unsolidarisch. Der CDU-Vorsitzende kritisierte, dass Menschen in die Ukraine zurückkehrten und anschließend wieder nach Deutschland kämen. Ja, das tun sie, aus ganz unterschiedlichen Motiven. Zum Beispiel, weil sich die Bedrohungslage wieder ändert. Oder um nach Haus und Hof zu sehen, pflegebedürftige Angehörige zu versorgen oder um den Ehemann, Vater, Bruder, Sohn wiederzusehen, für die eine Ausreise aktuell nicht erlaubt ist. Das ist alles – im Gegensatz zu Merz' Unterstellungen – sehr nachvollziehbar.

Inzwischen ist er zurückgerudert, hat einen entsprechenden Tweet gelöscht und seine Wortwahl bedauert. Doch warum eigentlich, wenn es doch seine Geisteshaltung widerspiegelt? Stehen Sie doch dazu, Herr Merz! Aber dann müssen Sie eben die Kritik ertragen, die zugleich Sie und Ihr Verhalten entlarvt.

Purer Populismus

Als angeblich großer Freund des Landes reiste er bereits Anfang Mai in die Ukraine, als erster deutscher Politiker. Er wolle Solidarität zeigen, sagte er damals. Angesichts seiner jüngsten Äußerungen wirkt diese Reise umso zweifelhafter. Sie war wohl letztlich ebenso wie Merz' Wortwahl Anfang der Woche purer Populismus. Darum bleibt nur zu sagen: Schämen Sie sich, Herr Merz!

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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