Scholz' schwierige Mission: Wie weiter mit Polen und Ungarn?
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„Europa ist eine Werte- und Rechtsgemeinschaft. Uns verbinden die Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“, appellierte Bundeskanzler Olaf Scholz an die Regierenden in Warschau. „Und deshalb wäre es auch sehr gut und hilfreich, wenn die Diskussionen und Gespräche zwischen der Europäischen Union, der Kommission und Polen bald zu einer sehr guten pragmatischen Lösung führen könnten." Er hoffe auf Einigung, sagte Scholz noch, vermied aber schärfere Kritik an der Justizpolitik in Polen.
Vorwürfe Polens an die Ampel-Regierung
Das mag sich für der ersten Besuch des frischgewählten Kanzlers beim Nachbarn so gehören, am Kern des Streits wird es herzlich wenig ändern. Das lässt sich belegen. Zeitgleich mit der Kanzlervisite erklärte der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro gegenüber der Financial Times, Polen werde sämtliche EU-Beiträge stoppen und zudem alle EU-Entscheidungen mit dem eigenen Veto blockieren, wenn die EU-Kommission wegen der illegalen Justizreformen Finanzmittel weiterhin einbehalte. Brüssel, so Ziobro weiter, suche nur einen Vorwand, einen Regierungswechsel in Polen zu erzwingen.
Fast parallel belehrte Außenminister Zbigniew Rau – selbst erst ein halbes Jahr in Amt und Würden – zur Begrüßung seine neue Kollegin Annalena Baerbock von oben herab, er wünsche ihr viel Glück: „Sie werden es brauchen bei der Erfüllung Ihrer Mission, aber auch in den polnisch-deutschen Beziehungen." Anschließend durfte Baerbock einem zwanzigminütigen Vortrag lauschen, gespickt mit Vorwürfen Polens an die Ampel-Regierung und Forderungen, unter anderem nach Reparationszahlungen.
Macron erst versöhnlich, dann unnachgiebig
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erging es auf Staatsbesuch in Budapest nicht wesentlich besser. Auch Macron schlug versöhnliche Töne gegenüber Ministerpräsident Victor Orbán an, sagte: Wir haben politische Meinungsverschiedenheiten, die bekannt sind, aber wir haben auch den Willen, zusammenzuarbeiten für dieses Europa, nur um die Antwort zu erhalten: Wir sind politische Gegner, aber europäische Partner. Bei genauem Hinhören war der andere Zungenschlag bei Orbán klar zu erkennen: Die angebliche Einmütigkeit, die einige Journalist*innen entdeckt zu haben glaubten, nur schöner Schein.
Nach dem Ende des Höflichkeitsbesuchs, musste Macron zurück in Paris eine Kehrtwende vollziehen und alle Nachsicht zurücknehmen. Ungarn, so Macron nun, habe den erklärten Willen, sich in den Streitfragen bis zu den Parlamentswahlen im April nicht zu bewegen, und dürfe daher auch keinerlei Zahlungen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU bekommen, hieß es nun sehr unnachgiebig.
Was kann, was muss Europa daraus lernen
Auch Morawiecki und Orbán haben Anspruch darauf, mit dem Respekt behandelt zu werden, der einem demokratisch gewählten Regierungschef gebührt. Deshalb sollten auch weder die EU noch Scholz, Macron oder ein anderer Politiker aufhören, die beiden mit klugen und sinnvollen Vorschlägen zu behelligen. Im Gegenteil: Beide müssen ständig erinnert werden, was sie mit dem Beitritt zur EU vertraglich zugesichert haben und deshalb einzuhalten verpflichtet sind.
Aber darüber hinaus sollte man sich auch keinerlei Illusionen hingeben, nur weil ein Herr Morawiecki im kleineren Kreis eventuell bisweilen moderatere Töne anschlägt als öffentlich oder weil Orbán gerade niemanden persönlich attackiert und beleidigt hat. Das ändert nichts an beider genereller Politikvorstellung. Eine demokratische Regierungsform ist nicht ihr Ziel und wird es nie werden. Beide sind Autokraten, beide streben an, was Orbán selbst eine „gelenkte Demokratie“ genannt hat. Und – auch das muss ganz klar gesagt sein – das hat mit Demokratie rein gar nichts zu tun.
Keine EU-Gelder für Polen und Ungarn
Genau deshalb darf es auch keine EU-Gelder dafür geben. Alle Zahlungen aus europäischen Töpfen werden so lange ausgesetzt, wie die Regeln und Gesetze der EU nicht gelten oder gar, wie durch das oberste polnische Gericht geschehen, für ungültig erklärt werden. Das kann und darf die Staatengemeinschaft nicht hinnehmen. Es ist im Gegenteil die Pflicht der EU, den selbst gegebenen und von allen Mitgliedern unterzeichneten Gesetzen Geltung zu verschaffen und sie durchzusetzen. Denn eben dafür ist die EU eingerichtet worden
Das kann man auch nicht Erpressung nennen, wie es Zbigniew Ziobro behauptet. Es steht den Staaten nämlich frei, die Rechtsstaatlichkeit wieder herzustellen und zu schützen, so wie sie es zugesagt hatten. Und ja: es steht auch den Bürger*innen von Polen und Ungarn frei, sich andere demokratischere Regierungen zu wählen