Reichensteuer: Jetzt fordern selbst die Reichen höhere Abgaben
Thomas Imo/photothek.net
In Deutschland leben rund 1,5 Millionen Millionär*innen, Stand 2017. Tendenz stark steigend, zumindest damals. Fünf von ihnen haben aktuell den offenen Brief der „Millionaires for Humanity“ unterschrieben, in denen sie für sich und andere fordern, stärker besteuert zu werden. Ja, richtig gehört: Es gibt reiche Menschen auf der Welt, die von sich aus eine Reichensteuer fordern. Weltweit gibt es bereits mehrere hundert Unterzeichner*innen
Und ja, es ist wirklich genau so konkret in dem Brief formuliert: „Today, we, the undersigned millionaires, ask our governments to raise taxes on people like us. Immediately. Substantially. Permanently.“ Das heißt, frei übersetzt: Wir bitten unsere Regierungen darum, die Steuern für uns zu erhöhen. Sofort, erheblich und dauerhaft.
Auch Millionäre aus anderen EU-Ländern
Nun sind vier von rund 1,5 Millionen Menschen keine überwältigende Mehrheit. Trotzdem: Es ist eine Gruppe, die vielleicht noch einige Sympathisant*innen mehr hat. Und es gibt sie auf der ganzen Welt – mehrere hundert haben den Brief bereits unterschrieben. Neben deutschen Staatsbürger*innen sind auch reiche Menschen aus Frankreich, den Niederlanden und anderen europäischen Ländern dabei.
Das zeigt: Es gibt diejenigen, die sagen: „Bitte nimmt uns in die Pflicht, wir haben genug Geld.“ Geld, das gebraucht wird, um andere zu unterstützen. Für die Suche nach einem Impfstoff, für Personal, für Schutzkleidung in Kliniken, Beatmungsgeräte – und das sind nur die direkten Kosten der Corona-Krise. HInzu kommen Arbeitslosigkeit und Armut als indirekte Folgen der Krise.
Nun könnten die Spitzenverdiener*innen natürlich ihr Geld auch direkt an gemeinnützige Organisationen spenden oder in Unternehmen investieren, die nach einem Impfstoff suchen. Das würde ihnen aber den Vorwurf einbringen, sie würden sich einen Gewinn davon versprechen, politisch oder finanziell. Stattdessen zeugt der offene Brief von Demut gegenüber den Staaten der Welt: Hier, nehmt unser Geld, nutzt es sinnvoll, bringt es dorthin, wo es gebraucht wird. Die Kontrolle darüber geben sie ab.
Anerkennung von Souveränität
Warum sollten auch ausgerechnet Menschen mit viel Geld wissen, was im Kampf gegen eine Pandemie oder für den Aufbau einer neuen, widerstandsfähigere Wirtschaft am dringendsten benötigt wird? Sicher, es gibt diejenigen, die meinen, genau das zu wissen. Aber im Grunde sind solche Herausforderungen eine Aufgabe für den Staat, den Regierungsapparat und die politischen Entscheidungsgremien. Und das sollten sie auch bleiben. Diejenigen, die diesen Brief unterschrieben haben, erkennen diese Souveränität an.
Es ist ein Zeichen der Solidarität, die die SPD in den vergangenen Jahren so oft eingefordert hat – in Form einer Reichensteuer, 2019 in der Debatte um die teilweise Abschaffung des Solidaritätsbeitrags, bei der Vermögensabgabe: Es gibt immer mehr reiche Menschen in Deutschland, ein bisschen mehr Umverteilung schadet also nicht. Für bessere Löhne bei Geringverdiener*innen, für eine bessere Infrastruktur, für bessere, gerechtere Bildung und ein stabileres Gesundheitssystem. Kurz: damit Deutschland, oder, besser noch, Europa für die Folgen der Corona-Krise und kommende Verwerfungen gewappnet ist.
Rückenwind für SPD-Steuerkonzept
Wenn jetzt selbst Betroffene sich für höhere Steuern aussprechen, stellt sich die Frage: Warum wurde in den vergangenen Jahren immer wieder gebremst? Warum wurde vor zu hohen Steuern für Unternehmer*innen gewarnt? Der SPD-Steuerexperte Lothar Binding hatte im „vorwärts" einige der Argumente gegen eine Vermögensabgabe widerlegt und erklärt, mit welchen fiskalpolitischen Maßnahmen Deutschland gestärkt aus der Krise kommen könnte. Einen Teil dieser Forderungen haben die Millionär*innen in ihrem Brief aufgegriffen.
Natürlich ist das auch ein symbolischer Akt. Das deutsche Steuersystem ist besonders komplex und Änderungen ziehen langwierige Debatten mit sich. Davon können vor allem deutsche Politiker*innen ein Lied singen und dieser Brief wird diesen Prozess kaum beschleunigen können. Aber es ist eine gute Nachricht: Denn es gibt offensichtlich Millionäre, die das Gefühl haben, dass sie mehr geben könnten, als die Staaten der Welt von ihnen verlangen. Ob das nun daran liegt, dass sie ihre Schäfchen bereits gut verborgen haben oder ob es wirklich ein ehrlicher Akt der Solidarität ist: Es ist Wasser auf die Mühlen der Befürworter*innen.