Meinung

Polizeigewalt muss immer verhältnismäßig sein

In den vergangenen Tagen sorgten drei Polizeieinsätze bundesweit für Aufsehen. Ohne den Kontext zu kennen, kann aber eine polizeiliche Maßnahme schwer beurteilt werden. Trotzdem kann es sinnvoll sein, wenn Bürger*innen filmen.
von Christian Rath · 20. August 2020


Häufen sich die Fälle von eventuell überzogener Polizeigewalt? Allein in den letzten Tagen sorgten drei Vorfälle bundesweit für Aufsehen. In Düsseldorf kniete ein Polizist rund eine halbe Minute lang auf dem Nacken eines Jugendlichen, der bereits auf dem Boden lag. In Hamburg umringten acht Polizisten einen renitenten 15-Jähringen und brachten ihn gemeinsam zu Boden. In Frankfurt/Main trat ein Beamter einen bereits am Boden fixierten Mann.

Sensibilisiert durch Mord an George Floyd

Vermutlich ist die Häufung der Fälle ein leicht zu erklärendes Phänomen. Nachdem ein US-Polizist den am Boden liegenden Schwarzen George Floyd in Minneapolis auf offener Straße tötete, ist die öffentlichkeit stark sensibilisiert. Mit den überall verfügbaren Smartphones werden entsprechende Szenen sofort aufgenommen und in den sozialen Netzwerken geteilt. Weil das Interesse am Thema groß ist, findet auch jeder neue Einzelfall große Aufmerksamkeit.

Nun ist Polizeigewalt nicht per se verboten. Die Polizei darf Menschen festnehmen, wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden oder wenn gegen sie ein Haftbefehl vorliegt. Bei der Festnahme darf die Polizei - soweit erforderlich - auch Gewalt anwenden. Sie darf auch Anordnungen - wie Platzverweise - mit Gewalt durchsetzen. Entscheidend ist dabei aber immer, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel beachtet wird. Das heißt: der Einsatz von polizeilicher Gewalt muss im konkreten Fall geeignet, erforderlich und angemessen sein. Ein Polizeieinsatz, der unverhältnismäßig ist, ist automatisch rechtswidrig. Das gilt durchaus auch bei Straftätern und Unruhestiftern. Im Rechtsstaat ist niemand vogelfrei.

Im Rechtsstaat ist niemand vogelfrei

Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), hat daher Recht, wenn er fordert, dass immer der Kontext einer polizeilichen Maßnahme mitbetrachtet werden muss. Ob eine Maßnahme verhältnismäßig ist, kann nicht allein anhand von Videos beurteilt werden, die meist nur die schlimmsten Szenen zeigen und oft nicht die Vorgeschichte dokumentieren. Vielleicht ist der Mann, der gerade zu Boden gebracht wird, bewaffnet, vielleicht steht er unter aufputschenden Drogen oder leidet unter aggressiven Wahnvorstellungen. Es kann viele Gründe geben, warum ein Polizeieinsatz notwendig und rechtmäßig ist. Hinzukommende Passanten sollten sich immer bewusst sein, dass Sie nicht sicher wissen können, ob die Polizei im konkreten Fall rechtswidrig oder rechtmäßig handelt.

Statt die Polizei zu beschimpfen oder gar dazwischen zu gehen (was beides strafbar sein kann), ist es sinnvoller, wenn Passanten einen Vorfall, der ihnen nicht geheuer erscheint, dokumentieren. Wenn die Polizei merkt, dass sie bei einer Festnahme gefilmt wird, dürfte dies in der Regel deeskalierende Wirkung haben. Sollte es später zu Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung kommen, ist die Handy-Aufnahme ein wichtiges Beweismittel. Falschaussagen von Beteiligten sind dann deutlich erschwert.

Sind Videos von Polizeieinsätzen zulässig?

Leider ist es immer noch nicht endgültig geklärt, ob solche Aufnahmen von Polizeieinsätzen erlaubt sind oder nicht. Immer wieder gibt es Versuche der Polizei, solche Aufnahmen zu unterbinden und Smartphones zu beschlagnahmen. Früher machte die Polizei das Recht am eigenen Bild geltend. Die entsprechende Strafvorschrift greift aber nur, wenn ein Photo oder ein Film verbreitet wird. 2015 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Polizei, wenn sie gefilmt wird, nicht einfach unterstellen darf, dass die Bilder später veröffentlicht werden. Aufnahmen, die nur der Beweissicherung dienen, seien zulässig, so die Richter.

Seitdem beruft sich die Polizei, wenn sie sich gegen Aufnahmen wehren will, immer wieder auf eine Strafnorm zum Schutz der „Vertraulichkeit des Wortes“. Es geht dabei also nicht um die Bilder, sondern um die mitlaufende Tonspur. Nach dieser Strafnorm ist schon die Aufnahme strafbar (nicht erst das Verbreiten). Der Kölner Rechtsanwalt Christian Mertens hat erst im Mai das Bundesverfassungsricht in einem entsprechenden Fall angerufen. Er hofft auf einen Karlsruher Beschluss, dass diese Strafnorm nicht benutzt werden darf, um die Dokumentation von Polizeieinsätzen zu verhindern. Wie der Fall aus Minneapolis zeigt, ist gerade auch die Tonaufnahme („I can't Breathe“ - „Ich kann nicht atmen“) wichtig.

Von Bürgern gefilmte Videos können durchaus Anlass für interne polizeiliche Ermittlungen sein. Nach dem Vorfall in Frankfurt/M. wurden nun drei Polizisten vom Dienst suspendiert. Inzwischen hatte ein weiteres Video noch deutlicher gezeigt, wie die Beamten einen 29-jährigen Mann nach der Festnahme mehrfach treten.

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