Ohne Migration sähe Deutschland alt aus, Herr Seehofer
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Horst Seehofer hat seine Sprache wiedergefunden. Erst äußerten sich der Bundesinnenminister tagelang nicht zu dem Mord und den darauffolgenden Ereignissen in Chemnitz. Dann teilte er mit, dass er trotz des gemeinsamen Auftretens von AfD und Pegida in Chemnitz keine Grundlage für eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz sehe um schließlich Fehler bei der „Rückführung“ eines mutmaßlich Tatverdächten einzuräumen. Zum offensichtlichen Versagen der Polizei kein Wort. Ein Besuch in Chemnitz? Fehlanzeige!
Seehofer legt einen Sprengsatz in die Gesellschaft
Nun hat Seehofer nachgeholt, was er in den vergangenen zwei Wochen versäumt hat – allerdings anders, als von den meisten sehnsüchtig erwartet. Für die Situation in Chemnitz seien nicht etwa die Rechtsextremen verantwortlich, die mit Hitlergruß und Gewaltaufrufen durch die Innenstadt marschierten, sondern „die Migrationsfrage“. Diese sei „die Mutter aller Probleme“ in Deutschland ließ Seehofer die CSU-Abgeordneten bei ihrer Klausur in Neuhardenberg wissen.
Mit dieser Aussage legt der Innenminister, der auch und gerade für die innere Sicherheit zuständig ist, einen Sprengsatz direkt in die Gesellschaft. Nicht umsonst gab es umgehend Applaus aus der rechten Ecke. Vor allem aber hält Seehofers Aussage einer kritischen Prüfung auch inhaltlich nicht stand. Denn genau das Gegenteil ist der Fall.
Deutschland braucht Zuwanderung
„Bereits in der Vergangenheit ergaben sich in Deutschland erhebliche Gewinne für den Sozialstaat durch Zuwanderung“, schreibt etwa das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). Menschen, die aus anderen Ländern einwandern, zahlen nämlich hier in die schon jetzt strapazierten Renten- und Sozialversicherungskassen ein. Auch viele Stellen könnten ohne Zuwanderer schon heute nicht mehr besetzt werden – ein Trend, der sich in den kommenden Jahren noch drastisch verschärfen wird. Das heißt: Ohne Migration könnten viele Unternehmen dicht machen. Und ohne Pflegekräfte aus Osteuropa sähe Deutschland schon jetzt alt aus.
All dies blendet Horst Seehofer mit seiner ignoranten Äußerung aus. Wer sich so wenig in dem Land auskennt, auf das er einen Amtseid abgelegt hat, sollte sich dringend überlegen, ob er seiner Aufgabe überhaupt gewachsen ist.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.