Meinung

Offen, dezentral und vernetzt – so wird die SPD zur modernen Partei

Wie kann die SPD die Organisation von Meinungsbildung wieder zu ihrem Kerngeschäft machen und Menschen zur Mitwirkung begeistern? Dafür muss sich die Sitzungskultur verändern, das Antragswesen digitalisiert und auch projekt- und themenbezogene Engagement-Formate entwickelt werden, meinen Saskia Esken und Khalil Bawar – und machen konkrete Vorschläge.
von Saskia Esken · 18. Juli 2019
Mehr Möglichkeiten für digitales Engagement in der SPD fordern Saskia Esken und Khalil Bawar.
Mehr Möglichkeiten für digitales Engagement in der SPD fordern Saskia Esken und Khalil Bawar.

Bei all den Debatten zur Erneuerung von Personal und Inhalten versäumen wir es meistens, über die Strukturen zu sprechen. Wir reden also über Kopf und Herz der Partei und vergessen dabei die Glieder. Ist es eigentlich noch zeitgemäß, wie die SPD sich organisiert und wir ihre Positionen zustande kommen? Junge, neue Mitglieder empfinden unsere Strukturen oft als altbacken und unattraktiv, als intransparent und abweisend. Viel zu schnell verpufft dann ihre anfänglich große Motivation, sich einzubringen. Manche ziehen sich zurück, andere treten frustriert wieder aus.

Onlinebasierte Themenforen? Einfach mal ausprobieren!

Die Ideenschmiede SPD++ hat bereits Ende 2017 vorgeschlagen, themenbezogene, überregionale Foren für das von Ort und Zeit unabhängige Partei-Engagement digital anzubieten. Der Bundesparteitag hat diese Themenforen 2017 als Prüfauftrag an die Organisationspolitische Kommission der SPD überwiesen, bisher ohne Ergebnis.

Wir schlagen vor, mit der Wahl des neuen Parteivorstands im Dezember für die Dauer von zwei Jahren drei Themenforen zu den Themen Klimawandel, Sozialpolitik und Digitalisierung in einem Pilotversuch zu erproben. Der Pilotversuch muss mit den notwendigen Personal- und Sachmitteln ausgestattet werden und erhält Antragsrecht und beratende Delegierte, um die Ernsthaftigkeit des Engagements wertzuschätzen. Wir empfehlen diese Wertschätzung auch für die traditionellen Arbeitsgemeinschaften.

Von der Last wieder zur Lust: Die Arbeit im OV

Die Mitarbeit in onlinebasierte Themenforen und die „klassische“ Ortsvereinsarbeit schließen sich dabei nicht aus – im Gegenteil. Allerdings ist die Arbeit im Ortsverein vielerorts durch starre Strukturen und Formalismen oft wenig effektiv und wirkt auf neue Mitglieder eher abweisend. Gliederungen auf regionaler Ebene sollten ihre Sitzungskultur deshalb durch die Augen neuer Mitglieder betrachten und gemeinsam neue Wege für eine zeitgemäße OV-Arbeit entwickeln und umsetzen. Wir wollen drei Änderungen vorschlagen und einen Appell zur Debattenkultur aussprechen.

·       Sitzungszeiten an den Alltag der Menschen anpassen

Eure Sitzung findet immer am dritten Dienstagabend im Monat statt? Wer dienstags zum Sport möchte, sich um Kinder kümmern muss oder beruflich unterwegs ist, wird dann nie daran teilnehmen können. Für eine vielleicht wechselnde, aber jedenfalls diverse Beteiligung sorgt ein Turnus, der unterschiedliche Wochentage und Uhrzeiten anbietet. Wie wäre es mal mit einer Sitzung am Samstagvormittag?

·       Agile Tagesordnung

Ihr startet immer mit dem Beschluss einer vorgefertigten Tagesordnung? Wie wäre es so: Alle Teilnehmenden einer Sitzung notieren auf jeweils einem Post-it ein Thema, über das sie sprechen wollen. Jede/r darf so viele Themen einreichen, wie er/sie möchte. Häufiger genannte Themen werden an den Anfang der Tagesordnung gesetzt. Als Vorsitzende darf man sich befreit fühlen, nicht mehr allein für den Erfolg einer Sitzung verantwortlich zu sein.

·       Lesen statt „Berichte“

Berichte aus Parlamenten und Ausschüssen münden leider häufig in langen Vorträgen. Wenn die Berichte schriftlich vorliegen, können die Teilnehmenden den Bericht während der Sitzung kurz lesen, anschließend werden Fragen geklärt bzw. diskutiert. Schriftliche Berichte können als Teil des Protokolls oder auch für andere Kanäle verwendet werden.

·       Debattenkultur

Insbesondere auf neue Mitglieder wirkt die Art unserer Debatten oft eingefahren und rückwärtsgewandt. Es wird zu wenig zugehört und zu viel unterbrochen, teils sind die Gewohnheiten sehr an Machtfragen orientiert. Gerade jüngere und weibliche Mitglieder fühlen sich in einer solchen Atmosphäre unwohl. Unsere Kultur muss gleichzeitig debatten- und einigungsbereiter und vor allem lösungsorientierter werden. Neue, ungewohnte Vorschläge sollten wir anhören und ernsthaft erwägen.

Unser Antragswesen ist ist frustrierend und nicht gerecht

Traditionell erarbeiten wir die Positionen und Haltungen unserer Partei in Debatten, die zu Anträgen und ggf. Beschlussfassungen in Parteigremien führen. Wie dieses Antragswesen „funktioniert“, ist für viele Mitglieder undurchsichtig. Andere kennen die Strukturen und erarbeiten regelmäßig Anträge für die Parteitage. Daraus ergibt sich ein ungutes Ungleichgewicht der Mitwirkung.

Die Delegierten können die telefonbuchdicken Antragsbücher gar nicht bewältigen und auch der Parteitag schafft das nicht. Während über einige Leit- und Initiativanträge mit großem Engagement debattiert wird, kann der größte Teil der Anträge aus den Gliederungen oft gar nicht bearbeitet werden und wird an andere Gremien überwiesen oder vertagt – beides ein Synonym für „begraben“. Für eine Mitmach-Partei ist das kein zufriedenstellendes Verfahren.

Meinungsbildung und politische Arbeit über digitale Plattformen sichtbar machen

Wir schlagen deshalb vor, dass Anträge auf allen Ebenen künftig über eine digitale Plattform eingereicht werden können, im Idealfall schon als Entwurf. Über eine Verschlagwortung können ähnliche Anträge ebenso wie Beschlusslagen der Partei aufgefunden werden (Antrags- und Beschluss-Wiki). Gliederungen, die gleichzeitig an ähnlichen Anträgen arbeiten, können sich finden und vernetzen und gemeinsame Anträge oder Alternativen erarbeiten. Entsprechende digitale und sichere Systeme sind vorhanden. Man muss sie nur nutzen.

Alle Phasen im Lebenszyklus eines Antrags (Entwurf, Ortsverein, Unterbezirksparteitag, Landesparteitag, Bundesparteitag) sind auf der Plattform sichtbar und werden hauptamtlich von der Partei betreut. In einer weiteren Stufen könnte man auch eine Umsetzung in Regierungshandeln (Referentenentwurf, 1. Lesung, Ausschussberatung, 2./3. Lesung, Verkündung) transparent machen. So werden Debatte und Meinungsbildung, Antragsberatung und weitere Behandlung sichtbar - ebenso wie die oft im Verborgenen stattfindende, harte Sach- und Ausschussarbeit von Abgeordneten.

Die SPD braucht eine zeitgemäße, digitale Struktur der innerparteilichen Organisation. Sie muss den Wettstreit um die besten politischen Ideen offen und transparent, kommunikativ und kollaborativ und dabei effizient gestalten und gleichzeitig politische Heimat und Zusammenhalt ermöglichen.

Klingt schwierig? Wir haben keine Wahl! Und wir können das! Wir sind Sozialdemokraten! 

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