Neuseeland: Was die SPD von Jacinda Ardern lernen kann
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Der rechtsextremistische Terroranschlag von Christchurch, ein Vulkanausbruch und nun die verheerende COVID19-Pandemie: Jacinda Ardern, die junge Premierministerin Neuseelands, musste bereits in ihrer ersten Amtszeit mehrere, gewaltige Krisen überstehen. Dem Wahlergebnis vom 17. Oktober nach zu urteilen, macht sie ihre Arbeit allerdings gut. Die Wähler*innen attestierten ihr ein herausragendes Zeugnis: Ihre politisch mitte-links positionierte „Labour Party“ erlangte zum ersten Mal seit Einführung der personalisierten Verhältniswahl eine absolute Mehrheit. Deutsche Sozialdemokrat*innen haben da sicherlich sehr genau hingehört. Denn die Ähnlichkeit des neuseeländischen Wahlsystems zum deutschen, macht Analysen wesentlich sinnvoller als beispielsweise Vergleiche mit Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Dänemark.
Lange befand sich die Labour Party in Neuseeland in einer Krise. Bei der Parlamentswahl im Jahr 2014 lag die politisch mitte-rechts verortete „National Party“ unter dem damaligen Premierminister John Key das dritte Mal in Folge vorn. Noch Ende 2016 hatte die Partei mit fast 50 Prozent Zustimmung in den Umfragen einen kaum aufzuholenden Vorsprung. Dann kam Jacinda Ardern.
Die Rahmenbedingungen
Auch wenn einiges an der Situation der Labour Party mit der der SPD vergleichbar ist, so sind es einige Punkte nicht: In Neuseeland gab es keine „große Koalition“ zwischen den Volksparteien. Labour wird in den Augen der Wähler*innen daher nach wie vor als soziale Wahlalternative gesehen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass es in der parteipolitischen Landschaft Neuseelands keine große Spaltung zwischen Sozialdemokrat*innen und Linken gab.
Die SPD, die sich seit 2005 in einer politischen Zange zwischen „Mitte-Anspruch“ und Angriffen von Links befindet, hat also wenig mit der neuseeländischen Labour Party gemein. Denn die einzig ernsthafte, linke Alternative zu Arderns Labour ist eine linke Grüne Partei. Und gerade an diesem Punkt ist bemerkenswert, dass Jacinda Ardern – trotz absoluter Mehrheit – dennoch mit den neuseeländischen Grünen regiert. Der Anspruch, dass keine starke Opposition links der traditionellen Arbeiter*innenpartei entstehen darf, ist wohl eine der erfolgreicheren Strategien der Labour Party.
Die Themen
Wohnungskrise, soziale Ungerechtigkeit und der Klimawandel – wem diese Themen bekannt vorkommen, der wird feststellen, dass ein Vergleich zwischen Labour und der SPD auch inhaltlich interessant ist. Jacinda Ardern hat diese Themenschwerpunkte in während ihrer ersten Regierungszeit bewusst gesetzt: Es sind Fragen, die konservativ-wirtschaftsliberale Parteien nicht lösen können. Was in Berlin, Köln oder auch in einer 77.000-Einwohner-Stadt Marburg (in der auch der Autor wohnt) klar wird – nämlich, dass der Markt die Wohnungskrise nicht lösen kann – ist auch bei den „Kiwis“ nicht unbemerkt geblieben. Das Versagen der National Party in diesem politischen Feld hat für eine Rückbesinnung alter Erkenntnisse geführt.
Es braucht stattdessen einen starken Staat, der die negativen Auswirkungen des Marktes eindämmt und essenzielle Güter wie bezahlbares Wohnen, Daseinsvorsorge oder die Umwelt schützt. Auch wenn es in der Opposition natürlich leichter wäre, so muss es auch der SPD als Juniorpartner in Regierungsverantwortung möglich sein, klar zu benennen wo sie in diesen Bereichen Fehler gemacht hat und warum eine unionsgeführte Bundesregierung bestenfalls unzureichende Antworten geben kann, eine sozialdemokratisch geführte Koalition dagegen die richtigen. Niemals darf die SPD vergessen zu betonen, dass sie die einzige Partei außer der CDU ist, die bereits Kanzler gestellt und Regierungen geführt hat.
Die Person
Die Sozialdemokratie wird aufgrund ihrer Hauptkompetenz gewählt: Soziales. Dies sollte von der SPD widergespiegelt werden. Denn eine Partei, die vor allem als streitend wahrgenommen wird, ist nicht nur im „stabilitätsliebenden“ Deutschland unattraktiv. Es ist besonders widersprüchlich, wenn „die soziale Partei“ schlecht mit ihrem Spitzenersonal ungeht. Machtkämpfe gehören zwar zur Politik dazu, das ist auch in Neuseeland nicht anders. Doch der stille Aufstieg der neuseeländischen Parteivorsitzenden Ardern und ihr darauffolgender Ansehensgewinn als „Kümmerin“ und „immer-positiv“ Vorsitzende, gibt den Wähler*innen ein gutes Gefühl, wenn sie sich für die Labour Party entscheiden.
Nicht umsonst sind es hierzulande gerade Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz oder Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern, die seit Jahren konstant als Anwärterinnen für Kanzlerkandidaturen der SPD gehandelt werden. Insbesondere in Zeiten des „männlichen Chaos“ bei der CDU-Vorsitzendenwahl, bleibt die kompetente und regierungserfahrene Kümmerin der sozialdemokratische Trumpf.
Die Botschaft
Jacinda Ardern besetzt ihr Kabinett divers. Mit acht Frauen, mehreren Ureinwohner*innen und Vertreter*innen der LGBTIQ-Community. Es ist ein Kabinett, das wirklich die Gesellschaft abbildet. Die Botschaft soll folgende sein: Die Sozialdemokratie muss sich, insbesondere in Zeiten des erstarkenden Hasses, mehr um den Dialog zwischen den gesellschaftlichen Gruppen kümmern. Sie muss, genauso wie in Neuseeland, die Bewegung des Zusammenhalts und der Repräsentanz sein.
Das heißt für die SPD, dass sie sich wieder stärker auf ihre Wurzeln als Partei der Arbeiter*innen und der Menschen mit Migrationshintergrund besinnen muss. Sie darf im Angesicht von Tabubrüchen, wie der Wahl Thomas Kemmerichs mithilfe der AfD, nicht „nur“ antifaschistisch sein. Sie muss proaktiv antirassistisch sein und auch mal eigene Strukturen hinterfragen. Nicht nur ihre Ansprache muss jünger, weiblicher und bunter werden, sondern auch ihr Personal. Also muss wohl eine weitere kompetente Anwärterin hinzu kommen: Vielleicht die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende: Serpil Midyatli?
ist Vorsitzender des Ortsvereins Marburg Nord. Er arbeitet in Frankfurt am Main als Projektmitarbeiter im Bereich IT.