Meinung

Neue Kommisionspräsidentin: Jetzt muss von der Leyen liefern

Mindestlohn, Arbeitslosenversicherung, Klimaneutralität, Reform der EU-Wahl: Viel hat Ursula von der Leyen angekündigt, viel hat sie in ihrer Rede versprochen, als sie sich um den Posten der Kommissionspräsidentin beworben hat. Nun ist sie gewählt, nun muss sie liefern.
von Benedikt Dittrich · 17. Juli 2019

Eine überraschende Nominierung, viele Gespräche, kurzfristig entworfene Konzepte, Ideen und Vorstellungen – es waren sicherlich anstrengende Tage für Ursula von der Leyen. Sie hat gekämpft, sie hat sich angestrengt, sie hat versucht, möglichst viele Abgeordnete im Europaparlament zu überzeugen. Seit Dienstagabend steht fest: Es hat gereicht, die Ex-Ministerin wird neue EU-Kommissionspräsidentin. Doch die Abstimmung war denkbar knapp, nur neun Stimmen mehr als nötig hat sie erhalten.

Das heißt: Ihr eigentlicher Kampf fängt jetzt erst an. Denn jetzt muss sie das liefern, was sie am Dienstagmorgen versprochen hat: Wenn sie es schafft, den Rahmen für einen europäischen Mindestlohn zu schaffen, wenn sie effektive Maßnahmen zum Klimaschutz vorschlägt, vorantreibt, umsetzt, sie eine europaweite Arbeitslosenversicherung auf den Weg bringt, wird es kaum noch eine Rolle spielen, wie sie es in das höchste Amt in der EU geschafft hat.

Während sie bei ihrer Rede noch teilweise im Ungefähren blieb, muss sie jetzt konkret werden. Vor ihr türmt sich ein Haufen Arbeit auf, den sie selber mit ihren Versprechen errichtet hat. Das trifft auch auf das Wahlsystem zu, bei dem Ursula von der Leyen besonders vage geblieben ist.

Denn das strukturelle Problem der Europawahl ist wieder einmal deutlich sichtbar geworden: Die Bürger haben ein Parlament gewählt, was zwar über das höchste Amt in Europa entscheiden, selber aber keinen Kandidaten vorschlagen darf. Das ist eine Gefahr für die nächsten EU-Wahlen.

Es gab für keinen der Spitzenkandidaten einen Konsens, deswegen wurde die deutsche Unionspolitikerin überhaupt neu ins Spiel gebracht. Sie ist der Plan B, den der Europäische Rat dem Parlament und letztlich den Bürgern vorgesetzt hat, ungeachtet der Spitzenkandidaten bei der Europawahl.

Kritik am Verfahren, nicht an der Kandidatin

Diese Missachtung der Wahl ist der Hauptgrund, warum viele Abgeordnete sie nicht gewählt haben, deswegen haben auch die 16 SPD-Abgeordneten sie nicht gewählt. „Wenn wir das jetzt hinnehmen, dann ist das Spitzenkandidaten-Prinzip tot“, hatte Katarina Barley noch vor der Abstimmung wiederholt. Es ging, anders als von einigen Kritikern behauptet, nicht um die Person, sondern um den Prozess: Ursula von der Leyen war keine Spitzenkandidatin. Sie wurde nicht gewählt, sondern von den Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen, nachdem es keinen Konsens für die eigentlichen Spitzenkandidaten im Europäischen Rat gab.

In der Vergangenheit wurden SPD-Politiker kritisiert, weil sie ihre Position aufgegeben haben, jetzt werden die europäischen Abgeordneten kritisiert, weil sie bis zuletzt standhaft geblieben sind, während ringsum der Widerstand bröckelte. Dass es am Ende nicht gereicht hat, um das Prinzip der Spitzenkandidaten aufrecht zu erhalten, ist enttäuschend, aber nicht mehr zu ändern.

Jetzt geht es aber darum, nach vorne zu schauen. Es liegt nun an Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin, ihre Versprechen einzulösen. Dazu gehört auch, das Prinzip der Spitzenkandidaten für die nächste Europawahl wiederzubeleben und fest in den europäischen Statuten zu verankern. Denn nur so können bei der nächsten Europawahl enttäuschte Wähler wieder zurückgewonnen werden.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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