Meinung

Nach illegaler Party: Die peinliche Doppelmoral von Jószef Szájer

Einer der engsten Vertrauen von Viktor Orban hat seinen Rücktritt erklärt. Die „persönlichen Gründe“, wie der ungarische Europaabgeordnete und Fidesz-Politiker Jószef Szájer erklärte, sind allerdings in doppelter Hinsicht peinlich. Ein Rückblick auf nackte Tatsachen in Brüssel.
von Kay Walter · 4. Dezember 2020
In diesem Gebäude in Brüssel löste die Polizei die illegale Party auf, bei der auch Jószef Szájer festgenommen wurde – laut Polizei spärlich bekleidet und mit Drogen im Rucksack.
In diesem Gebäude in Brüssel löste die Polizei die illegale Party auf, bei der auch Jószef Szájer festgenommen wurde – laut Polizei spärlich bekleidet und mit Drogen im Rucksack.

Jószef Szájer, 59, ist Gründungsmitglied der Fidesz-Partei, gilt als enger Vertrauter von Ungarns Premier Viktor Orban und als dessen Statthalter in Brüssel. Das heißt, bis letzten Sonntag. Da nämlich trat Szájer ziemlich überraschend zurück. „Persönliche Gründe“, hieß es in seiner ersten Pressemitteilung, der „zunehmende Stress des politischen Kampfes“ habe ihm sehr zugesetzt. Zwei Tage später wurde deutlich, dass Anlass des plötzlichen Rückzugs wohl nicht der Stress, sondern eher die Art und Weise des Stressabbaus waren.

Die Steenstraat/Rue des Pierres liegt mitten im Zentrum von Brüssel. Die Grand Place ist direkt um die Ecke, ebenso die Polizeihauptwache. Die Steenstraat ist Amüsierviertel: zwei große Musikclubs, jede Menge Restaurants, diverse Inn-Lokale und Schwulenbars reihen sich aneinander. Die Anwohner hier sind tolerant und durchaus an Lautstärke gewöhnt, aber am Freitag Abend haben sie doch die Polizei wegen nächtlicher Ruhestörung gerufen.

Die traf auf etwas, was Szájer später als „Lockdown-Party“ bezeichnete: Zwei Dutzend Männer, spärlich bis gar nicht bekleidet, reichlich Alkohol und Extasy. An der Dachrinne hing ein Mann, der sich bei seinem Fluchtversuch die Hände aufgerissen hatte, Jószef Szájer.

Denn natürlich war das Zusammentreffen im Obergeschoss einer Regenbogenbar vollkommen illegal. Nicht, weil die Männer berauscht waren oder die Mehrzahl ohne Hosen oder doch heruntergelassen solchen angetroffen wurde, nein: illegal ist zu Zeiten des strengen Covid-Lockdowns nur das Treffen als solches.

Bars und Restaurants sind zwangsweise geschlossen, zwischen 22 und 6 Uhr gilt für Bürger*innen der europäischen Hautstadt eine nächtliche Ausgangssperre an allen öffentlichen Plätzen – drinnen wie draußen kommt eine Maskenpflicht hinzu. Mehr als vier Personen dürfen sich keinesfalls in einer Wohnung aufhalten. Und ja, die Extasy-Pille im Rucksack des ultrakonservativen ungarischen Abgeordneten, die wäre auch zu normalen Zeiten in Brüssel nicht erlaubt gewesen.

Jószef Szájer hing also, nicht ganz nüchtern und höchst nachlässig bekleidet, dafür aber mit Extasy im Rucksack an der Regenrinne und konnte sich der Polizei gegenüber nicht ausweisen. Weil er aber angab, EU-Parlamentsabgeordneter zu sein, begleiteten ihn einige Polizist*innen zwecks Feststellung der Personalien zu seiner Wohnung. Die Kolleg*innen stellten derweil ordnungsgemäß die Identitäten der anderen gut 20 Personen fest, wobei sich zwei weitere mit Diplomatenpässen auswiesen, verhängten Bußgelder und lösten das derzeit illegale Vergnügen auf. Allen droht nun ein Bußgeld von 250 Euro wegen Verstoß gegen die Covid-Auflagen. Gegen Szájer ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Drogenbesitzes.

Soweit, so am Ende lässlich. Selbst Abgeordnete haben das Recht auf ein Privatleben und darauf, Fehler und sogar Dummheiten zu begehen, selbst die strengsten Moralapostel. Zur Verantwortung gezogen gehört er von den ungarischen Wähler*innen für den Irrsinn seiner politischen Positionen, nicht für seine privaten Präferenzen.

Szájer brandmarkt Homosexualität

Peinlich ist aber, wenn man sich wie Jószef Szájer selbst damit brüstet, die neue ungarische Verfassung eigenhändig auf seinem Tablet im Flugzeug zwischen Brüssel und Budapest entworfen zu haben und vor allem deren Berufung auf das Christentum betont.

Peinlich ist, wenn man zuvor bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Ehe für heilig erklärt und Homosexualität, ja alles was nicht streng hetero ist, als widernatürlich gebrandmarkt hat. Mancher würde das Hyperkorrektur nennen, mit viel mehr Verständnis für alles menschliche hätte F.W.Bernstein gesagt: „Die schärfsten Kritiker der Elche , …

Hochnotpeinlich ist vor allem, wenn man ansonsten als „his-masters-voice“ die Durchsetzung der Prinzipien des Rechtsstaats für Unsinn und überflüssig erklärt hat, wohl weil man selbst offenbar die simpelsten Regeln nicht einhalten kann. Oder auch glaubt, die gelten nur für Andere.

Jószef Szájer hat unterdessen eingeräumt, die Party, die von der Brüsseler Polizei offiziell als Orgie bezeichnet wurde, besucht zu haben und auch der Mann an der Dachrinne gewesen zu sein. Der nationalkonservative Vordenker bestreitet lediglich, Besitzer der Drogen in seinem Rucksack zu sein. Für den „persönlichen Fehltritt“, die Corona-Regeln verletzt zu haben hat er sich entschuldigt, bei seiner Familie, seinen Kollegen und seinen Wähler*innen. Nicht entschuldigt hat sich der Verfechter der „traditionellen Familie von Mann und Frau und der unumstößlichen christlichen Werte“ dagegen für die eigene Doppelmoral oder seinen Einsatz gegen alles und Jeden aus der LGBTQ-Community.

Opfer seiner eigenen Doppelmoral

Zum Vergleich: Im Sommer trat Kommissar Phil Hogan zurück, zugegeben erst unter massivem öffentlichen Druck, weil er trotz Corona-Restriktionen verbotenerweise an einem Golf-Turnier in seiner Heimat Irland teilgenommen hatte. Aber niemand kann behaupten, dass Hogan zuvor jemals Golf als Übergriff „gegen die Natur und die göttliche Ordnung“ bezeichnet hätte.

Beobachter der europäischen Hauptstadt beklagen manchmal, sie sei langweilig, weil man so wenig von Affären und Sexskandalen höre. Die gibt es auch in Brüssel, normalerweise hinter gut verschlossenen Türen. Ausgerechnet Corona hat das nun geändert.

In Budapest kann man dagegen betrachten, wie weit Victor Orban auf dem Weg zur „gelenkten Demokratie“ bereits ist. In ungarischen Medien wird man nur die scheinheilige Entschuldigung des Jószef Szájer finden, auf einer „privaten Feier“ die Coronaregeln verletzt zu haben – kein Wort über Drogen, kein Wort über Sex oder gar über nackte Männer. Statt dessen findet man reichlich Spekulationen darüber, dass fremde Geheimdienste, die belgische Polizei auf Szájers Spur geführt habe, wohl um den heldenhaften Kampf der Fiesz gegen die Koppelung von EU-Geldern und Rechtsstaatsprinzipien zu torpedieren.

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Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist.

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