Meinung

Nach dem Wahlerfolg der AfD: Wir müssen alle Sonneberg sein

Die Wahl eines AfD-Landrats in Sonneberg ist ein Dammbruch. Soll sich so etwas nicht wiederholen, hilft es nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
von Kai Doering · 26. Juni 2023
Es hilft nichts, mit Schaudern oder Verachtung auf Sonneberg zu blicken. Wir müssen selbst gegen die AfD aktiv werden, meint Kai Doering.
Es hilft nichts, mit Schaudern oder Verachtung auf Sonneberg zu blicken. Wir müssen selbst gegen die AfD aktiv werden, meint Kai Doering.

Nun ist es also passiert. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gewinnt der Vertreter einer rechtsextremen Partei eine Wahl für ein politisches Spitzenamt. Keine Frage: Dass die AfD im Kreis Sonneberg künftig den Landrat stellt, ist ein politisches Beben, das Folgen haben wird. Auch wenn nun gern darauf verwiesen wird, als gewählter Beamter und Behördenleiter sei Robert Sesselmann an Weisungen von Bund und Freistaat Thüringen gebunden und könne nicht schalten und walten, wie er wolle, ist das politische Signal fatal.

AfD zu wählen, ist kein Akt der Notwehr

Nicht umsonst war die AfD schon kurz nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses eifrig dabei, die Bedeutung dieser Wahl für die Bundespolitik herauszustellen. „Das war erst der Anfang“, schrieb Parteichef Tino Chrupalla auf Twitter. Nicht vernachlässigt werden darf dabei, dass Sonneberg in Thüringen liegt und der künftige Landrat zum AfD-Landesverband von Björn Höcke gehört, den der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft. Der Wahlerfolg Sesselmanns ist damit auch ein Wahlerfolg für Höcke. Das dürfte Einfluss auf den weiteren Kurs der gesamten AfD haben.

All das wussten und wissen die Wähler*innen, die am Sonntag für die AfD gestimmt haben. Doch es scheint ihnen egal zu sein. Das zu benennen und sie nicht aus der Verantwortung zu entlassen ist keine Wähler*innenbeschimpfung, sondern eine Zustandsbeschreibung. Um es klar zu sagen: AfD zu wählen ist kein Akt der Notwehr, auch wenn man sich von anderen Parteien nicht verstanden, vielleicht sogar „verraten“ fühlt (dieses Wort taucht in der Debatte immer häufiger auf). Sonneberg (Bruttolohn 11.000 Euro unter dem Bundesdurchschnitt, ein Ausländer*innenanteil von 8,3 Prozent) ist hier kein Einzelfall.

Der Boden, auf den die Frucht der AfD fällt

Wir dürfen es uns aber auch nicht zu leicht machen, indem wir – wahlweise mit Schaudern oder Verachtung – auf Sonneberg zeigen. Dort leben keine Hinterwäldler*innen, die in der DDR nie gelernt haben, was Demokratie ist. So oder so ähnlich war es vor der Stichwahl immer wieder zu lesen. Zum Teil haben in Sonneberg Menschen die AfD gewählt, weil sie von deren rassistischen Einstellungen überzeugt sind. 40 Prozent der Ostdeutschen gaben in der jüngsten Autoritarismus-Studie der Uni Leipzig an, sie fühlten sich „durch die vielen Ausländer überfremdet“. In Westdeutschland sind es 23 Prozent.

Das ist der Boden, auf den die Frucht der AfD fällt. Wenn Unzufriedenheit mit dem Handeln der Regierung hinzukommt, fällt es offenbar leichter, sein Kreuz bei einer Partei und einem Kandidaten zu machen, der mit knallhartem Grenzschutz, einem Festhalten am Diesel und dem Austritt aus dem Euro wirbt. Das waren die Themen, die Robert Sesselmann plakatiert hatte, obwohl kein einziges davon in seinem Bereich als Landrat fällt.

Wir müssen alle Sonneberg sein

Das Ergebnis in Sonneberg muss deshalb endlich ein Weckruf sein – für die demokratischen Parteien, aber auch für jede*n Einzelne*n von uns. Auch wir Demokrat*innen müssen der schleichenden Verschiebung nach rechts entschieden entgegentreten, abends in der Kneipe genauso wie morgens im Bus oder in der Straßenbahn. Der Boden für die AfD wird in der Gesellschaft bereitet, das dürfen wir nicht weiter hinnehmen. Soll sich ein Beben wie in Sonneberg nicht wiederholen, müssen wir alle Sonneberg sein.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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