Meinung

Nach dem 9-Euro-Ticket: Warum der ÖPNV kostenlos werden sollte

Einen Monat bundesweit mobil sein – und das so günstig wie nie. Das war das Versprechen des 9-Euro-Tickets. Warum also Busse und Bahnen nicht gleich ganz kostenfrei machen? Martin Burkert spricht sich dafür aus.
von Martin Burkert · 11. Oktober 2022
Der ÖPNV sollte schrittweise kostenlos werden, findet Martin Burkert von der EVG.
Der ÖPNV sollte schrittweise kostenlos werden, findet Martin Burkert von der EVG.

Nachdem der Sommer mit dem 9-Euro-Ticket vorbei ist, kann nüchtern bilanziert werden: Der ÖPNV findet großen Zuspruch in der Bevölkerung, wenn er preislich attraktiv und einfach zu nutzen ist. Zugleich haben diese drei Monate die Schwächen des ÖPNV in Deutschland und den großen Handlungsbedarf offengelegt. Einer simplen Fortführung der 9-Euro-Regelung hat die EVG daher frühzeitig eine Absage erteilt – vor allem, um die Beschäftigten zu schützen.

Schrittweise zum kostenlosen ÖPNV

Anfang 2020 haben wir im EVG-Bundesvorstand ein Positionspapier zum „kostenlosen ÖPNV“ beschlossen. Dieses Ziel kann aber nur schrittweise erreicht werden. Denn offenkundig ist der ÖPNV und insbesondere der Schienenpersonennahverkehr in Deutschland nicht in der Lage, Millionen zusätzlicher Passagier*innen – von einem Tag auf den anderen – aufzunehmen. Es fehlt an Fahrzeugen und Personal; zudem ist die Infrastruktur längst an ihrer Kapazitätsgrenze angekommen. Hier rächen sich die verkehrspolitischen Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte: die Vernachlässigung des Schienennetzes, der Rückbau von Gleisen, die Stilllegung von Strecken. Dieser Trend muss endlich umgekehrt werden: Es muss mehr in Personal, Fahrzeuge und Infrastruktur investiert werden.

Unsere klare Forderung an die Politik ist deshalb: Macht diesen ersten Schritt vor dem zweiten. Baut den ÖPNV erst aus, denn das macht ihn deutlich attraktiver. Ein günstiger Preis ist – gerade in Zeiten, in denen alles teurer wird – für viele ein weiterer guter Grund, das Auto stehen zu lassen und auf Bus und Bahn umzusteigen.

Ein besseres Angebot ist nötig

Das Haupthindernis für die Nutzung des ÖPNV ist derzeit vor allem das unzureichende Angebot. In mancher ländlichen Gegend fährt der Bus nur zweimal am Tag, am Wochenende gar nicht. Hinzu kommen komplizierte Tarife und überproportionale Preissteigerungen. 

Erforderlich sind also dauerhafte Investitionen sowie regelmäßig und zuverlässig verkehrende Züge und Busse mit ausreichenden Kapazitäten. Außerdem brauchen wir einfache, günstige und durchgehende Tarife – ohne Zonen und Verbundgrenzen. Und wer kein Abo hat, muss seine Fahrkarte schnell und einfach bei Fahrtbeginn kaufen können. Wenn wir dann in Deutschland einen ÖPNV haben, der flächendeckend gut und leistungsstark ist, können wir die nächsten Schritte zum „kostenlosen ÖPNV“ gehen. 

Die Gegenposition formuliert Kerstin Haarmann vom VCD.

Autor*in
Martin Burkert
Martin Burkert

ist stellvertretender Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).

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