Mit Umkehrschub: So wirkt die Strompreisbremse
IMAGO/Bihlmayerfotografie
Die meisten kennen es vom Fliegen. Bei der Landung kehrt der Pilot den Schub der Triebwerke um, damit das Flugzeug an Geschwindigkeit verliert und es langsam bis zum Stillstand abgebremst wird. Mit einem solchen Umkehrschub will die Bundesregierung ins Ökonomische übertragen den rasanten Anstieg der Strompreise zum Stillstand bringen, zumindest die belastenden Wirkungen für die Verbraucher*innen spürbar dämpfen. Wie geht das?
Die jeweils aktuellen Strompreise ergeben sich am europäischen Strommarkt immer aus dem Angebot des letzten Kraftwerks, das Strom an Netz gibt. Welches dies ist, hängt davon ab, wieviel Strom an einem Tag nachgefragt wird. Zunächst kommen immer die billigsten Anbieter zum Zuge. Das sind zunächst jene, die Strom aus Erneuerbaren Energien anbieten und danach jene, die Strom aus Kohlekraftwerken erzeugen. Sie produzieren sehr günstig und ihre Produktionskosten sind auch durch Putins Gas-Boykott allenfalls marginal beeinflusst. Würde also ihr Stromangebot ausreichen, hätten wir kein Strompreisproblem trotz des Krieges in der Ukraine.
Die Balance zwischen Gewinnen und Belastungen geht verloren
Das Problem ist, dass dieses Angebot in der Regel nicht ausreicht und deshalb derzeit mit sehr hohen Kosten produzierende Gaskraftwerke zugeschaltet werden müssen. Sie bestimmen den Strompreis und treiben ihn zusätzlich zu den Kosten, die Putins Boykott verursacht, nach oben. Die Folge: Die Verbraucher*innen werden stark belastet. Zugleich entstehen bei den günstigeren Anbietern hohe Gewinne, da ihre Einnahmen aufgrund des hohen Preises stark steigen, ohne dass sich ihre Produktionskosten entsprechend erhöht hätten.
Unter normalen Umständen wäre dies erträglich oder sogar erwünscht, da hohe Gewinne für die Erzeugung Erneuerbarer Energien ein Anreiz sind, deren Produktion auszudehnen. In den gegenwärtigen Umbruch- und Kriegszeiten geht dieser Effekt jedoch weit über das übliche Maß hinaus. Die Balance zwischen den Gewinnen der Stromanbieter auf der einen Seite und den Belastungen der Verbraucher*innen auf der anderen geht verloren.
Die EEG-Umlage wirkt als Umkehrschub
Dies versucht die Bundesregierung nun mit ihrem dritten Entlastungspaket zu ändern. Sie wird einen Teil der exorbitanten Gewinne durch eine Abgabe abschöpfen und diese Einnahmen verwenden, um die Verbraucher*innen zu entlasten. Die Grenze, ab der die Gewinn abgeschöpft werden, muss noch festgelegt werden. An dieser Stelle kommt nun der Umkehrschub ins Spiel. Das aus den Gewinnen eingesammelte Geld soll über die EEG-Umlage, mit der bis Juli dieses Jahres der Ausbau Erneuerbarer Energien finanziert wurde, an die Verbraucher*innen zurückverteilt werden. Was also früher zu teurerem Strom führte, sorgt nunmehr durch das gleiche Instrument für billigeren. Umkehrschub eben.
Mit diesem Instrument lässt sich denn auch ein bezahlbares Basisangebot an Strom für jeden Haushalt finanzieren. Die Konstruktion ermöglicht, Belastungen für die Verbraucher*innen am Strommarkt in Grenzen zu halten, während die Anbieter von Erneuerbaren Energien und auch Kohlekraftwerke immer noch hinreichende Gewinne erzielen können. Nur die durch den Umbruch am Energiemarkt erzeugten Zufallsgewinne entfallen. Vor allem gibt dieses Vorgehen gerade Haushalten mit niedrigen bis mittleren Einkommen die Sicherheit, mit Blick auf die Stromkosten den Winter finanziell überstehen zu können. Voraussetzung hierfür ist, dass die Strompreisbremse zeitnah zur Wirkung kommt.
Stromsparen lohnt sich weiter
Bei alldem sollte man nicht vergessen, dass es einen zweispurigen Königsweg zur Verminderung der Strompreise gibt. Die erste Spur ist das Stromsparen. Daher ist es wichtig, dass der Anreiz hierzu besteht. Die Strompreisbremse beherzigt dies. Denn Stromverbrauch über das Basisangebot hinaus muss zu Marktpreisen bezahlt werden und ist somit teuer. Es lohnt sich daher, sich zu beschränken. Die zweite Spur ist der schnelle Ausbau Erneuerbarer Energien. Trotz der Abschöpfung von Gewinnen durch die Strompreisbremse ist der Strom aus Wind und Sonne hochprofitabel. Damit bleibt der Anreiz für ihren Ausbau, insbesondere wenn er noch staatlich weiter unterstützt wird. Wenn aber weniger verbraucht wird und gleichzeitig das Angebot an billigerem Strom steigt, werden die Preise auch wieder fallen.
Insofern ist die Strompreisbremse der solidarische Weg aus einer für die Verbraucher*innen sehr schwierigen Lage. Sie könnte zudem ein Vorbild für die Probleme am Gasmarkt sein, auf dem Verbraucher*innen ebenfalls vor einem massiven Preisanstieg geschützt werden müssen.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.