Mindestlohn runter, Arbeitszeit rauf: der ungerechte Weg aus der Krise
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Seit kurzem geistert ein Papier durch die Medien, in dem Abgeordnete aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Ideen für ein Konjunkturprogramm nach der Corona-Krise skizzieren. Eine Auswahl der Vorschläge der AG Wirtschaft: Mindestlohn senken, Arbeitszeit erhöhen sowie für Unternehmen die Steuerlast senken und den Soli möglichst schnell abschaffen, aber natürlich für alle. Die Wirtschaftsexpert*innen der Union scheinen eine klare Vorstellung davon, wer für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Corona-Krise Verzicht nun Verzicht üben und wem geholfen werden soll. Das Problem ist nur: Ein Konjunkturprogramm nach diesen Leitlinien wäre im höchsten Maße ungerecht.
Denn wem würde ein niedriger Mindestlohn denn helfen? Natürlich vor allem denjenigen, die ihren Mitarbeiter*innen bisher nicht mehr gezahlt haben als die aktuell gültigen 9,35 Euro. Betroffen wären also vor allem die Menschen, die wir in den vergangenen Wochen als systemrelevant erkannt haben. Die, die die Supermarkt-Regale auffüllen, die andere Menschen betreuen, die trotz des Lockdowns noch für ein wenig Normalität gesorgt haben. Was sie übrigens immer noch Tag für Tag machen. Es sind aber auch die Kellner*innen, die monatelang arbeitslos waren oder es noch sind.
Zum Existenzminimum nicht weit
Diese Menschen sollen nun, wenn es nach den Unionsabgeordneten geht, Kürzungen hinnehmen? Wenn man das Existenzminimum da nicht gleich noch mit absenken möchte, dürfte es da nicht viel zu holen geben. Viel mehr haben die Menschen nämlich nicht, die vom Mindestlohn leben müssen.
Wer mehr verdient, kann jetzt übrigens nicht aufatmen, denn die mit kleinem oder mittlerem Gehalt könnten von dem nächsten Vorschlag betroffen sein: Die gelockerten Arbeitszeitregelungen, wie sie für die systemrelevanten Berufe in der Corona-Krise beschlossen wurden, könnten auch auf kleine und mittelständische Unternehmen ausgeweitet werden. Wer das als Arbeitgeber voll ausnutzt, kann beispielsweise bei einer 48-Stunden-Woche jeden sechsten Vollzeit-Arbeitsplatz wegfallen lassen. Rechtfertigen könnte ein Arbeitgeber die Arbeitszeitverlängerung dann in etwa so: „Nach der Krise müssen wir eben alle ein bisschen mehr arbeiten, damit wir als Unternehmen überleben können.“ Wer will da schon widersprechen, wenn am eigenen Arbeitspensum das Überleben des Unternehmens und damit auch der eigene Arbeitsplatz hängt?
Obendrein soll auf weitere „Regelungen“ auf dem Arbeitsmarkt verzichtet werden, beispielsweise die Abschaffung der Werksverträge in der Fleischindustrie. Das alles gleicht einem Affront gegenüber der SPD-Bundestagsfraktion, die zusammen mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil jüngst genau das gefordert hatte. Fleischfabriken waren zu Infektionsherden des Coronavirus mutiert, vermutlich begünstigt durch Missachtung von Hygieneregeln und katastrophalen Zuständen in den Firmenwohnungen der oftmals ausländischen Mitarbeiter*innen.
SPD-Spitzen: Nicht mit uns!
Entsprechend deutlich fiel bereits die Antwort von Seiten der SPD aus: Die Parteivorsitzende Saskia Esken sprach von einem schäbigen Verhalten, Fraktionsvize Katja Mast klärte schonmal die Kompromissbereitschaft: „Jetzt den Mindestlohn senken? Nicht mit der SPD!“ Selbst die CDU-Vorsitzende sah sich zu einem Dementi genötigt. Die Entlastungen für Unternehmen verteidigte sie, die anderen Punkte aus dem Positionspapier kommentierte sie nicht.
Das ist ein Stück weit beruhigend. Trotzdem bleibt das Papier ein Schlag ins Gesicht für alle, die vom Mindestlohne leben müssen. Wer nur wenig Geld übrig hat, für den bedeutet jeder Euro weniger einen großen Verlust. Die wenigen Spitzenverdiener*innen in Deutschland hingegen werden nicht am Hungertuch nagen müssen, wenn sie den Solidaritätszuschlag weiter zahlen müssen.
Und was die Arbeitszeit angeht: Gewerkschaften und linke Parteien haben in der Vergangenheit lange dafür gekämpft, dass eine 40-Stunden-Woche in Deutschland nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Für die Gesundheit der Mitarbeiter*innen, für die Lebensqualität. Dass obendrein Mitarbeiter*innen in Unternehmen glücklicher sind, in denen nicht nur anständige Löhne gezahlt werden, sondern auch Arbeitszeit und -belastung im Rahmen bleiben, ist auch kein Geheimnis. Diese Errungenschaften sollten auch in Krisenzeiten nicht in Frage gestellt werden.