Markus Söder und die Impfpflicht: ignorant, unverschämt, rücksichtslos
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Wer Markus Söder kennt, ist von seinem neuesten Wendemanöver in der Corona-Politik nicht überrascht. Er will die erst vor wenigen Monaten – im großen Konsens auch mit Stimmen von CDU und CSU beschlossene – einrichtungsbezogene Impfpflicht im Freistaat Bayern „vorerst“ nicht umsetzen. Mit dieser Ankündigung stellt der bayerische Ministerpräsident aber nicht nur ein Bundesgesetz in Frage, sondern zerstört grundsätzlich das Vertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse.
Söder hat auch bei bisherigen Corona-Vereinbarungen stets eine gewisse Kreativität an den Tag gelegt. Bei den 2G- und 3G-Regeln scherte Bayern aus, Obergrenzen von Veranstaltungen hat Söder mal in die eine, mal in die andere Richtung ausgedehnt, zuletzt hat er einige Beschränkungen gar nicht umgesetzt. Doch nun stellt er einen Beschluss grundsätzlich in Frage, an dem es nichts zu interpretieren gibt: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist voriges Jahr beschlossen worden. Der Freistaat ist zur Umsetzung des Gesetzes verpflichtet. Ein Gesetz, keine höfliche Bitte.
Söder zwischen Größenwahn und Ignoranz
Dass Söder jetzt zum großen Boykott aufruft, einen Monat vor der Frist sogar „bittet“, man möge das Gesetz doch insgesamt noch einmal „überdenken“, zeugt von einem gewissen Größenwahn. Denn dahinter versteckt der Franke nichts anderes als die Meinung: In Bayern ist man schlauer als im Rest von Deutschland. Gleichzeitig ignoriert Söder damit völlig die demokratischen Entscheidungsprozesse: Wer sich per Verkündung über gemeinsam getroffene Beschlüsse hinwegsetzt, stellt die parlamentarische Demokratie insgesamt in Frage und untergräbt das Vertrauen in das politische System in Deutschland. Es ist ein Rechtsbruch.
In der Debatte, die Söder nun losgetreten hat, kann es folglich nur Verlier*innen geben. Die Politik insgesamt verliert an Vertrauen, wenn beschlossene Gesetze nicht umgesetzt werden. Jede*r andere Ministerpräsident*in muss sich nun rechtfertigen, ob oder warum im eigenen Bundesland ein Gesetz gelten soll, was in Bayern ignoriert wird. Ein „sehr gefährliches Signal“, wie auch Karl Lauterbach am Dienstag scharf kritisiert. Der Bundesgesundheitsminister beklagte vor allem, dass so der Eindruck entstehe, dass bestimmte Gesetze für Ministerpräsident*innen nicht gelten, während die Bevölkerung weiterhin starke Einschränkungen ihrer Grundrechte hinnehmen muss. „Ich bin damit nicht glücklich.“
Und das in einer Zeit, in der weiterhin Menschen in den Krankenhäusern sterben, sich hunderttausende infizieren, viele andere in Isolation oder Quarantäne müssen. Auch wenn die Omikron-Variante im Schnitt einen milderen Verlauf der Krankheit Covid-19 mit sich bringt: Die Lage ist weiterhin ernst.
Auch die Probleme und Konsequenzen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht haben sich nicht geändert und sind schon vor Monaten diskutiert worden: Wer im März nicht geimpft ist, riskiert den Job im Pflegebereich. Gibt es deswegen zu viele Kündigungen, kann das zu Engpässen in der Versorgung führen. Diese Risiken wurden abgewogen, trotzdem wurde das Gesetz beschlossen. Noch einmal zur Erinnerung: auch mit Zustimmung aus Bayern im Bundesrat.
Bärendienst für die Impfpflicht-Debatte
Der aktuellen Debatte um die allgemeine Impfpflicht hat der CSU-Chef ebenso einen Bärendienst erwiesen, auch wenn er sich weiterhin für eine Impfpflicht ausspricht. Egal, wie die Debatte verläuft, egal was beschlossen wird: Weder auf das Wort noch auf das Verhalten von Markus Söder ist Verlass – selbst Wochen nach einer demokratischen Abstimmung sind Querschüsse aus Bayern zu befürchten.
Ein besonderer Schlag ins Gesicht ist es außerdem für all jene, deren Angehörige in Pflegeheimen betreut werden. Menschen, die sich darauf verlassen, dass ihre Eltern oder Großeltern bestmöglich versorgt und geschützt werden. Dazu gehört Pflegepersonal, dass sich und andere so gut es geht vor einer Infektion schützt. Kurz: geimpftes Personal, was sich bestenfalls noch regelmäßig testet. Stattdessen, so kritisiert es auch Lauterbach, misst Söder dem Protest einer lauten, radikalen Minderheit auf der Straße nun offenbar eine höhere Bedeutung bei als dem Gesundheitsschutz von vulnerablen Personen. „Das kann nicht unsere Priorität sein.“