Meinung

Macron oder Le Pen: Die Stichwahl in Frankreich als Kampf um Europa

Frankreich wählt einen neuen Präsidenten oder eine Präsidentin. Wie 2017 heißt es in der Stichwahl wieder: Macron gegen Le Pen. Anders als vor fünf Jahren muss Macron aber um jede Stimme gegen die Rechtsextreme kämpfen. Auch für Europa.
von Kay Walter · 12. April 2022
Emmanuel Macron muss in Frankreich vor allem das linke Lager überzeugen.
Emmanuel Macron muss in Frankreich vor allem das linke Lager überzeugen.

Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl beschert Frankreich die Neuauflage des Duells zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen. Ein Duell, das es bereits 2017 gegeben hat. Doch was bedeutet diese Neuauflage der Stichwahl für Frankreich und für Europa?

Amtsinhaber Macron hat den ersten Wahlgang mit 27,8 Prozent gewonnen, knapp vier Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren. Erneut erreicht die rechtsextreme Marine Le Pen den zweiten Platz. Sie verbessert sich um zwei Prozent auf 23,2. So kommt es zur Neuauflage der Stichwahl von 2017.

Wohlgemerkt: Neuauflage, keine Kopie. Nur auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse sehr ähnlich. Auch wenn nun einige titeln werden „Rückspiel“ oder „Revanche“, das trifft es alles nicht. Tatsächlich zeigt die genaue Analyse eine grundverschiedene Situation. Am unwichtigsten, dass der Abstand zwischen den beiden sich fast verdoppelt hat.

2017 trat der linksbürgerliche Newcomer Macron, Ex-Sozialist und Minister im Kabinett Hollande, an und versprach den Aufbruch in die europäische Moderne. Er war die Hoffnung der Jugend auf den dringend nötigen Neuanfang abseits verkrusteter Strukturen.

Mit Le Pen schaffte es erstmals in der Geschichte der fünften Republik eine Vertreterin des rechtsextremen Front National in die Stichwahl. Für die Mehrheit des konservativen Bürgertums, deren Vertreter Francois Fillon überraschend nur dritter geworden war, galt in der Stichwahl der cordon sanitaire: Keine Stimme für Rechtsradikale.

Stichwahl: Neuauflage unter anderen Vorzeichen

Zur Wahl stand damals nicht rechts gegen links, es war ein Votum Anti-Rechtsextrem. So erklärt sich Macrons Zweidrittelmehrheit von damals. Und so viel ist heute, zwei Wochen vor der neuerlichen Stichwahl schon klar: das wird sich so nicht wiederholen.

Macron ist für viele Franzosen und Französinnen kein Hoffnungsträger mehr, von linksbürgerlich ganz zu schweigen. Bei den Jungwähler*innen von 18-34 belegt er nur noch den dritten Platz. Allerdings ist er auch weiterhin der einzige Kandidat mit proeuropäischer Haltung und Perspektive.

Andererseits ist Le Pen gelungen, was sie „Entdämonisierung“ ihrer Partei nennt. Ultra-radikale Positionen – Austritt aus NATO, EU und Euro – sind gestrichen und Teile der bürgerlichen Mitte halten daher die klare Abgrenzung nach Rechtsaußen nicht länger aufrecht. Dabei hat sich am Parteiprogramm wenig geändert. Es klingt nur weniger brachial, vergleicht man es mit den Äußerungen des mehrfach wegen Hetze verurteilten Mitbewerbers Éric Zemmour. Trotzdem: Gelder für Europa will Le Pen ebenso radikal kürzen wie gemeinsame Initiativen mit Deutschland.

Schon im ersten Wahlgang wurde ungewöhnlich taktisch gewählt. Wo es sonst um „Denkzettel“ verteilen oder die „reine Lehre“ geht, haben sich dieses Mal die meisten Wähler*innnen hinter den aussichtsreichsten Kandidaten versammelt. PS, Grüne und Kommunist*innen erzielten Ergebnisse nahe der Bedeutungslosigkeit, weil sich fast alle Linken hinter dem Linksnationalisten und Anti-Europäer Jean-Luc Mélenchon stellten. Auch die Konservative Valérie Pécresse, die sich Hoffnungen auf die Stichwahl gemacht hatte, erlebte mit 4,8 % ihr Desaster. Ihr Resultat besagt, die bürgerliche Rechte hat entweder für Macron votiert oder ganz rechts für Le Pen.

Derartige Niederlagen haben in Frankreich auch einen ökonomischen Preis: Resultate unter fünf Prozent bedeuten, dass die Parteien kaum Wahlkampfkostenerstattung bekommen. Sozialist*innen, Grüne und Konservative werden Mühe haben, den nächsten Wahlkampf zu finanzieren. Gleichwohl haben die drei gescheiterten Kandidat*innen ihre Wähler*innen aufgefordert, nun für Macron zu votieren. Wenn das alle täten, könnte Macron einen Zuwachs um 11 Prozent verzeichnen. Noch nicht genug.

Ja, Frankreich sieht 2022 das ähnliche Duell um das Präsidentenamt wie 2017. Aber unter radikal anderen Vorzeichen. Es wird deutlich enger werden, auch weil Zemmours Anhänger*innen komplett zu Le Pen wechseln dürften.

Wahlkampfmodus: Macron muss überall punkten

Macron ist das klar, weshalb er umgehend – endlich – in den Wahlkampfmodus geschaltet hat. Montag redete er in Denain an der belgischen Grenze, einer der ärmsten Gegenden Frankreichs und Le Pen-Hochburg. Dann geht es nach Straßburg und Le Havre, Industriestädte, in denen Mélenchon das Rennen gemacht hat. Dann weiter durch das Land. Überall muss Macron punkten.

Es soll auch ein TV-Duell mit Le Pen geben, aber sicher wird sie erheblich besser vorbereitet sein als vor fünf Jahren, als sie stammelte und sang-und-klanglos unterging. Auch wenn Macron seine rhetorische Überlegenheit voll ausspielt, er wird nur bedingt profitieren. Einige werden es nicht als Ausweis von Intelligenz und Können bewerten, sondern als Zeichen von Arroganz und Überheblichkeit. Zu dem Bild hat Macron selbst beigetragen.

Auch deshalb dürfte die ohnehin große Gruppe der Nichtwähler*innen noch größer werden. Menschen, die nicht mehr erkennen können oder wollen, welchen Unterschied es macht, wer das Land regiert. Es wird auf die Mélenchon-Unterstützer*innen ankommen, die teilweise Macron ebenso verabscheuen, wie die Rechtsextremen. Denn Mélenchon hat die französische Linke auf antieuropäisch und antideutsch gedrillt. Mit den Rechtsextremen zusammen hat er Macron zum „Präsident der Reichen“ abgestempelt.

In der Wahlnacht hat Mélenchon aufgerufen: “Keine einzige Stimme für Le Pen“. Klingt deutlich, ist es aber nicht. Unsicher bleibt, ob diese Linke überhaupt wählen wird und wie viele dann für das „kleinere Übel“ stimmen. Es wird eng und Macron wird kämpfen müssen.

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