Kohleausstieg: Der Weg zur Klimaneutralität ist eine Gratwanderung
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„Politik ist Freiheit“, schreibt Hannah Arendt. Politik dreht sich letztlich immer darum, Menschen Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen oder zu erhalten. Das schließt künftige Generationen ein, hat das Bundesverfassungsgericht jüngst in seinem aufsehenerregenden Urteil zum Klimaschutz festgestellt. Und wie schnell sich die Handlungsspielräume durch den Klimawandel verengen, hat der aktuelle Weltklimabericht aufgezeigt.
Kohleausstieg richtig
Ein verbesserter Schutz vor dem Klimawandel ist somit in seinem Kern eine Politik, die Freiheitsspielräume – heutige wie künftige – ermöglicht. Doch was ist, wenn dieser Schutz mit Nebenwirkungen verbunden ist, die in eine ganz andere Richtung gehen? Wie sieht Politik aus, wenn Klimaschutz Arbeitsplätze oder zumindest gute Arbeit oder Einkommen vernichtet und Menschen in die Abhängigkeit von Transfersystemen fallen lässt? Dann verengen sich Freiheitsspielräume aus sozialen Gründen und Politik wird ihrer Aufgabe nicht gerecht.
Dass dies nicht nur theoretische Überlegungen sind, zeigt die Debatte um den Kohleausstieg. Es gibt keinen Zweifel, dass unsere Wirtschaft in Zukunft ohne schädliche Emissionen arbeiten muss. Nach heutigem Kenntnisstand erfordert dies den vollständigen Verzicht auf den Gebrauch des Rohstoffs Kohle. Deshalb ist der Kohleausstieg richtig. Aber dieser muss so gestaltet werden, dass die von dem Ausstieg betroffenen Menschen eine Chance haben, ihre wirtschaftliche Existenz auf eine nachhaltige Produktion verlagern zu können, ohne in soziale Abhängigkeiten und Nöte zu geraten. Diesen Weg skizziert der mit allen Beteiligten ausgehandelte Kohlekompromiss von 2019, der einerseits für spätestens 2038 den Ausstieg aus der Braunkohleförderung vorsieht und andererseits den Beschäftigten und der Region durch vermehrte Investitionen eine wirtschaftliche Perspektive gibt.
Grantwanderung Klimaschutz
Die gleichen Überlegungen treffen auch auf den CO2 Preis zu. Es ist richtig, diese schädlichen Emissionen mit einem Preis zu versehen und damit klare Anreize zu deren Vermeidung zu geben. Aber gleichzeitig müssen auch nachhaltige Alternativen wie verstärkte Elektromobilität zu vernünftigen Preisen mit ausgebauter Infrastruktur zur Verfügung stehen, die es den Menschen ermöglichen, den teuren CO2 Ausstoß von vorneherein zu vermeiden. Dann sparen sie Ausgaben und geraten auch nicht in Abhängigkeit aufwendiger Ausgleichsmechanismen, die die Einnahmen aus einer CO2 Abgabe wieder zurückerstatten. Ein solcher Weg mit Handlungsalternativen erfordert vor allem rasche und massive Investitionen in neue Nachhaltigkeit ermöglichende Infrastrukturen.
Die Beispiele zeigen, der politische Weg zur Klimaneutralität ist eine Gratwanderung. Nur dann bleiben Freiheitsspielräume und damit Handlungsmöglichkeiten für alle erhalten. Verlässt man den Grat, verliert man entweder direkt den Kampf gegen den Klimawandel oder aber die Menschen, die ja ihr alltägliches Verhalten ändern werden müssen und damit indirekt auch den Kampf gegen den Klimawandel. Ohne eine breite gesellschaftliche Akzeptanz der Maßnahmen zum Klimaschutz werden diese scheitern. Der unsinnige Widerstand gegen neue Windräder, der auch von Landesregierungen mit grüner Regierungsbeteiligung gefürchtet wird, ist Vorbote dessen, was passiert, wenn eine solche Situation eintritt.
Keine Verwerfungen riskieren
Ob man den Grat einhält, hängt auch von der Geschwindigkeit ab, mit der man diesen beschreitet. Möglichst langsam bedeutet, den Klimawandel wie die CDU nicht ernst genug zu nehmen und immer schneller – wie die Grünen es fordern – bedeutet, wirtschaftliche und soziale Verwerfungen zu riskieren.
Deshalb ist es wichtig, beim Klimaschutz – auch im Streit – eine optimale Geschwindigkeit zu suchen. Konkret heißt dies, der Ausstieg aus der Kohle muss im Gleichlauf mit neuen Arbeitsplätzen in nachhaltiger Produktion geschehen und der Anstieg des CO2 Preises im Gleichlauf mit dem Aufbau alternativer Energie- und Mobilitätskonzepte. In diesem Zustand verläuft der notwendige Umbau unserer Wirtschaft mit optimaler Geschwindigkeit. Das ist denn auch der Weg, den die SPD gehen will – über einen schmalen Grat mit optimaler Geschwindigkeit und vor allem ohne Abstürze.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.