Klimaschutz: Lasst das mal den Markt machen!
Florian Gaertner/photothek.net
Auf Demonstrationen von Fridays for Future liest man immer wieder die Forderung nach einem Systemwechsel. Dennoch sind die meisten Antworten auf die Klimakrise konventionell. Sie könnten aus einem klassischen Lehrbuch für Wirtschaft stammen: Steuern, die genau so hoch gesetzt sind, dass nur noch eine bestimmte Menge CO2 ausgestoßen wird. Alternativ werden Emissionsrechte an Firmen ausgegebene und dann untereinander gehandelt – quasi ein Quote.
Konsum soll so teurer und so vor allem die klimaschädlichsten Produkte unattraktiver werden. Was das aber eigentlich heißt: Wer mehr hat (vor allem Geld), der darf mehr verschmutzen. Umweltverschmutzung wird zum Wirtschaftsgut und kann gekauft werden wie die Dose Kaviar. Das trifft materiell Schwächere ungleich härter als Reichere.
Sparer vs. Kosmopoliten
Im Konsumverhalten unterscheiden sich diese beiden Gruppen grundsätzlich. Es gibt Menschen, die zahlen einen Flug aus dem monatlichen Budget. Ein Preisanstieg wird sie kaum von ihrem großen Hobby Reisen abhalten. Andere sparen das ganze Jahr auf eine Reise mit der Familie. Selbst ein Preisanstieg von ein paar Euro pro Flug kann schon bedeuten, dass der Nebenjob nicht mehr reicht, um die ganze Familie in den Urlaub mitzunehmen.
Eine Klimaprämie aus den Steuereinnahmen kann das vielleicht abmildern, aber schon allein die zeitliche Verzögerung in ihrer Auszahlung wird das Konsumverhalten ändern. Die aktuellen Modelle benachteiligen materiell Schwächere. Dass sich jemand einschränken muss, ist unbestritten. Dass es nicht die kosmopolitischen Vielflieger sein werden, ist einfach vorherzusehen.
Die Umwelt als Konsumgut?
So ist das halt. Wer mehr hat, darf mehr konsumieren, die Umwelt stärker belasten. Aber ist unsere Umwelt ein ganz normales Gut, wie ein Auto oder ein Stück Land? Was ist der Grund, dass sie über Geld verteilt wird?
Wir sind alle gleich geboren. Warum sollten einige mehr von der Umwelt nehmen dürfen als andere? Das wäre in etwa so, als würde der Staat seinen Landbesitz basierend auf dem jeweiligen Kontostand an seine Bürger verteilen.
Grundsätzlich mag es gute Gründe für Unterschiede bei Löhnen, vielleicht sogar Vermögen und Besitz geben. Beim Recht, die Umwelt zu verschmutzen, ist das sicher nicht der Fall.
Marktwirtschaft als Alternative
Geben wir jeder Bürgerin und jedem Bürger ihren Anteil an der Umwelt. Wenn ich die Umwelt verschmutzen möchte, muss ich dafür meinen eigenen Anteil aufbrauchen. Für jeden weiteren „Verbrauch“ muss ich die Rechte anderer kaufen, die weniger verschmutzen. Auch das ist einfachste Ökonomie. Aber sie stellt einen Systemwechsel dar, denn sie behandelt Menschen gleich.
Bleiben wir beim Flugbeispiel: Wir legen jährlich eine Obergrenze für Flugmeilen fest. Vielleicht beginnen wir mit den aktuell geflogenen Meilen und senken diese langsam ab. Diese Obergrenze wird zwischen allen Menschen gleichmäßig aufgeteilt.
Bei der Flugbuchung bezahle ich dann nicht nur mit Geld, sondern auch mit Flugmeilen. Wenn ich mir nun keinen oder nur einen kurzen Flug leisten kann, habe ich Meilen übrig. Als Vielflieger muss ich Meilen dazu kaufen von denjenigen, die nicht oder wenig fliegen. Gleiches gilt für Firmen, die ihre Belegschaft um den Globus schicken. Die Verschmutzer entschädigen diejenigen, die die Umwelt schonen. Oder sie fliegen eben weniger.
In kürzester Zeit werden sich Geschäftsmodelle bilden, die Meilen aufkaufen und an McKinsey etc. weitergeben. Auch könnte ein einfaches Ebay-ähnliches System den Kauf und Verkauf von Meilen effizienter machen. Warum nur auf Lösungen des letzten Jahrhunderts vertrauen, wenn wir die Digitalisierung haben?
Man muss nicht bei Flügen aufhören
Dieses System kann auf viele Bereiche ausgedehnt werden. Der CO2-Ausstoß aller möglichen Güter kann bestimmt werden und die Verschmutzungsrechte würden eine Art Zweitwährung darstellen. 250 Gramm Käse kosten dann nicht nur drei Euro, sondern auch noch Zertifikate für zwei Kilogramm CO2-Ausstoß. Letzteres wird also nicht vorher per Steuer eingepreist – der Klimaverbrauch wird ausgewiesen und direkt beglichen.
Entweder man hat dann Verschmutzungszertifikate an der Kasse dabei oder man kauft über den Händler direkt die entsprechende Summe an Zertifikaten. Auch Sparen und Kredite sind denkbar. Eigentlich ist das ganze System kaum anders als ein Einkauf per Kreditkarte heute.
Problematisch ist eine mögliche Überwachung des Konsumverhaltens. Aber man könnte schlicht Verschmutzungszertifikate als Banknoten ausgeben. Damit ist die Überwachbarkeit nicht höher als bei normalem Bargeld. Jeder Mensch würde einmal im Monat solche Zertifikate überwiesen bekommen, fast wie ein Grundeinkommen – aber eben der Anteil am Gemeinschaftsgut Umwelt.
Ein radikaler Systemwechsel
Diese Idee würde einen radikalen Systemwechsel bedeuten. Menschen würden ihren Anteil an der Umwelt aufgrund ihres Menschseins erhalten, nicht als Resultat ihres Einkommens, Erbes, Vermögens. Der restliche Markt bliebe praktisch unangetastet, aber der Druck, CO2-Emissionen durch Innovationen oder Verhaltensänderungen zu reduzieren, würde massiv zunehmen. Viel mehr als bei einer niedrigen CO2-Steuer.
Das würde Umgewöhnung erfordern. Es wäre wohl nur europäisch möglich. Und es erfordert viel Phantasie. Auch ist dieses Modell kein Allheilmittel und erfordert natürlich weitere, kollektive Anstrengungen. Aber es wäre eine nachhaltige Lösung, die soziale und ökologische Probleme gleichzeitig angeht.
Frederik Traut promoviert in politischer Ökonomie an der Hertie School in Berlin und wurde im westfälischen Hagen sozialdemokratisch sozialisiert.