Meinung

Kerstin Haarmann: Warum ein kostenloser ÖPNV nicht realistisch ist

Einen Monat bundesweit mobil sein – und das so günstig wie nie. Das war das Versprechen des 9-Euro-Tickets. Warum also Busse und Bahnen nicht gleich ganz kostenfrei machen? Kerstin Haarmann spricht sich dagegen aus.
von Kerstin Haarmann · 11. Oktober 2022
Nahverkehrstickets sollte es weiterhin geben, findet Kerstin Haarmann vom VCD.
Nahverkehrstickets sollte es weiterhin geben, findet Kerstin Haarmann vom VCD.

Das 9-Euro-Ticket war ein Riesenerfolg. Der öffentliche Verkehr hat in den drei Geltungsmonaten Millionen Fahrgäste zusätzlich verzeichnet; Staus in den Städten ließen nach. Verständlich also die Debatte, das Ticket dauerhaft einzuführen oder Busse und Bahnen sogar kostenlos anzubieten. Das mag eine schöne Utopie sein, realistisch ist es derzeit nicht. Das 9-Euro-Ticket hat nämlich auch die Grenzen des Systems aufgezeigt. Viele Bahnen waren überfüllt, manche mussten gar geräumt werden. Die Belegschaften arbeiteten an der Belastungsgrenze. Manche Buslinien in den Städten verkehren derzeit nur eingeschränkt, weil Personal fehlt. Und auf dem Land, wo vielerorts weder Bus noch Bahn fahren, hatten die Leute nichts von dem günstigen Angebot.

Günstige Tickets reichen nicht

Wenn wir die Verkehrswende schaffen wollen, reichen günstige oder kostenlose Tickets nicht aus – wir müssen das Angebot ausbauen, damit in den Städten das System nicht zusammenbricht und auf dem Dorf alle eine gute Verbindung haben. Und dafür brauchen wir Geld: 10 bis 12 Milliarden Euro pro Jahr sind nötig, um den öffentlichen Verkehr zukunftsfest zu machen. Das meiste davon müssen Bund und Länder finanzieren. Doch auch die Ticket-Einnahmen sind eine wichtige Geldquelle, auf die wir nicht vollständig verzichten können.

Wir müssen uns fragen: Wäre es wirklich sinnvoll, dass Menschen mit gutem Einkommen den Bus oder den Regionalzug kostenlos nutzen, während für den Ausbau das Geld fehlt? Ist es zu viel verlangt, wenn sie sich an den Kosten für ein Angebot beteiligen, das sie täglich nutzen? Wir finden: Nein, das ist Teil einer solidarischen Finanzierung.

Sozialticket für maximal 30 Euro

Richtig ist aber auch: Bus und Bahn müssen attraktiver werden. Also einfach zu nutzen und für alle erschwinglich. Der VCD setzt sich deshalb für ein Ticket ein, das günstiger ist als die bisherigen Tarife und bundesweit gilt. In der Diskussion sind Preise zwischen 49 und 69 Euro. Das unterstützen wir, aber nur unter einer Voraussetzung: Das Angebot muss durch ein Sozialticket ergänzt werden, das maximal 30 Euro pro Monat kostet. Denn schon 49 Euro sind für viele nicht bezahlbar. Und Kinder sollten tatsächlich kostenlos fahren dürfen.

Um den Ausbau des Nahverkehrsangebots und das neue Ticket zu finanzieren, benötigt der öffentliche Verkehr jedes Jahr ca. 15 Milliarden Euro zusätzlich. Eine große Belastung für die Staatskasse, aber für die Verkehrswende unverzichtbar. Es wird schwer genug, diese Kosten zu stemmen – auch ohne dass wir dabei auf sämtliche Ticketeinnahmen verzichten.

Die Gegenposition formuliert Martin Burkert von der EVG.

Autor*in
Kerstin Haarmann
Kerstin Haarmann

ist Bundesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland e.V. (VCD).

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