Meinung

Keine Angst vor Künstlicher Intelligenz!

Künstliche Intelligenz und Roboter verunsichern Menschen seit es sie gibt. Die SPD sollte dieser Angst die selbstbewusste Idee einer neuen sozialen Selbstbestimmung entgegensetzen. Dabei kann auch ein Blick in die Geschichte helfen.
von Abraham de Wolf · 1. April 2021
Auch wo Mensch und Maschine zusammenarbeiten, muss das Arbeitsrecht greifen.
Auch wo Mensch und Maschine zusammenarbeiten, muss das Arbeitsrecht greifen.

Seitdem über die Künstliche Intelligenz geforscht und diskutiert wird, ist sie eine interessante Konstante in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Thematik: eine Angst, den Arbeitsplatz an einen intelligenten Roboter zu verlieren.

Dabei wurde erstmals 1955 das Wort „Künstliche Intelligenz“ in einem Finanzierungsantrag für eine wissenschaftliche Tagung in den USA verwendet und 1961 erfolgte der erste industrielle Einsatz eines Roboters am Fließband einer Autofabrik von General Motors in Detroit. Und trotzdem, von Beginn an herrschte die Angst vor dem intelligenten Roboter und sie ist als Motiv wiederaufgetaucht.

„Nach jedem Streik entstand eine neue Maschine“

Das Motiv der Hilflosigkeit des Menschen gegenüber der Maschine ist aber nicht erst seit der anfänglichen technischen Umsetzung von Künstlicher Intelligenz und Robotics ein zentrales gesellschaftliches und damit politisches Thema. Es begleitet die Gesellschaft seitdem der industrielle Kapitalismus anfing, sich durchzusetzen. Dabei ging es immer auch um eine Vorahnung, lange bevor die technische Realität da war.

Das Verhältnis von technischem Fortschritt zur Gestaltung und Sicherheit und vor allem zu den Kosten von Arbeitsplätzen ist seit dem Anfang des industriellen Kapitalismus ein zentrales Thema. „Nach jedem neuen einigermaßen bedeutenden Streike entstand eine neue Maschine.“ (Karl Marx, Elend der Philosophie, 1847 auf Französisch erschienen, 1884 von den Sozialdemokraten Karl Kautsky und Eduard Bernstein ins Deutsche übersetzt). Das ist natürlich nicht im engeren Sinne kausal gemeint, denn ohne die entsprechende wissenschaftliche Erkenntnis gibt es nicht die Technologie und keine Umsetzung der Technologie in eine praktikable und bezahlbare Maschine (An dem letzten Punkt sind Start-ups seit 200 Jahren immer wieder gescheitert.).

Gemeint ist stattdessen, dass der Druck, eine Maschine zu finanzieren dann wächst, wenn zumindest eine Kostenersparnis oder eine Effizienz der weiteren Arbeitsteilung gegenüber der bisherigen Produktion mit seinen Arbeiter*innen und Angestellten zu erreichen ist. Aber es besteht dafür keinen Automatismus. „Wir werden uns dabei nicht der Ansicht anschließen können, dass der Unternehmer einfach nichts anderes macht als den technischen Fortschritt auszunützen, das sich vollkommen selbstständig gegenüber der Tätigkeit des Unternehmers entwickelt.“ (Joseph A. Schumpeter, Change and Entrepreneur, Postulates and Paterns for Entrepreneurial History, Harvard University Press, 1949). Es gehört immer ein gesellschaftliches und geschäftliches Umfeld dazu, damit die Annahme einer neuen Technologie stattfinden kann. Technik ist eben nicht nur Technik.

Das Arbeitsrecht macht den Arbeiter zum Bürger

Und dieses Umfeld wird von der Politik in der Form des Rechts gestaltet. Im thematischen Zentrum der Sozialdemokratie stand immer die Arbeitswelt. Die Sozialdemokratie erkannte eine Welt der ungleichen Machtverteilung bei gleichzeitiger ideologischer Vertragsfreiheit im Bürgerlichen Gesetzbuch unter juristisch dogmatischer Ausblendung der sozialen Ungleichheit bei Vertragsabschluss zwischen dem Fabrikherrn und dem Arbeiter. Deshalb stimmte die SPD im Reichstag dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht zu. Es fehlte (damals) das Arbeitsrecht, das aus den Worten von Hugo Sinzheimer den Arbeiter „ vom Unterthan zum Bürger“ machte. Bürger im demokratischen Sinne. Das Arbeitsrecht als Wegbereiter einer Wirtschaftsdemokratie, so die Intention Sinzheimers, Sozialdemokrat und „Vater“ des modernen deutschen Arbeitsrechts.

In der Verfassung der Weimarer Republik (WRV) schrieb die Sozialdemokratie ihre Vorstellung einer demokratischen Wirtschaftsordnung in Art. 151 fest, vom SPD-Abgeordneten aus Frankfurt, Hugo Sinzheimer, formuliert:

„Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen zu sichern.“

Und weiter in Artikel 153 „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“ Diese zwei Sätze konnte die SPD auch in das Grundgesetz als Artikel 14 einbringen, in etwas modernisierter Sprache. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“  Wer diese Sätze der Grundgesetzes politisch verstehen will, dem sei empfohlen immer den Artikel 151 WRV mitzulesen.

Die relevante Diskussion findet auf EU-Ebene statt

Die Bedeutung des Arbeitsrechts in einer sozialen Demokratie in der Auseinandersetzung mit dem technischen Wandel lässt sich auch heute, im politischen und rechtlichen Umgang mit KI und Robotics, so erklären:

„Menschliche Würde zu erhalten, ist die besondere Aufgabe des Arbeitsrechts. Seine Bestimmung besteht darin, zu verhüten, dass Menschen gleich Sachen behandelt werden. Es verwirklicht die „reale Humanität“, die viel mehr ist als ein nur ideologischer Humanismus.“ (Hugo Sinzheimer, Das Wesen des Arbeitsrechts, 1927)

Die relevante Diskussion als Vorbereitung einer EU-weiten Gesetzgebung als Regelwerk für den Einsatz von KI findet auf EU-Ebene statt. Leider mit wenig Beteiligung der SPD. In einem Expertenpapier der EU aus dem April 2019 zu „Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI“ steht interessanterweise am Anfang folgendes:

„Kapitel I:

Die Entwicklung, Einführung und Nutzung von KI-Systemen muss so erfolgen, dass die folgenden ethischen Grundsätze eingehalten werden: Achtung der menschlichen Autonomie, Schadensverhütung, Fairness und Erklärbarkeit. Die möglichen Spannungen zwischen diesen Grundsätzen müssen zur Kenntnis genommen und gelöst werden.

Besondere Berücksichtigung von Situationen, in denen besonders schutzbedürftige Gruppen wie Kinder, Menschen mit Behinderungen und andere betroffen sind, die schon in der Vergangenheit Benachteiligung erfahren haben oder die einem besonders hohen Exklusionsrisiko ausgesetzt sind. Gleiches gilt für Situationen, die sich durch ungleiche Macht- oder Informationsverteilung auszeichnen, etwa zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder Unternehmen und Verbrauchern.“

Neue Wege der sozialen Selbstbestimmung

Als Hugo Sinzheimer 1916 sein bahnbrechendes Werk zum Tarifvertrag veröffentlichte, trug das Buch den Untertitel, „Die Idee der sozialen Selbstbestimmung im Recht“. Heute geht es im Umgang mit der Technologie der KI um neue Wege der sozialen Selbstbestimmung, als Arbeitnehmer*in und als Verbraucher*in. Es wäre schön, wenn die SPD sich stärker damit auseinandersetzen würde.

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Abraham de Wolf

ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Softwarerecht und Sprecher der jüdischen Sozialdemokrat*innen.

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