Kampf gegen die Inflation: Die Schuldenbremse wird zum Hindernis
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„Wir werden 2023 die Schuldenbremse einhalten“, postuliert Bundesfinanzminister Christian Lindner. Das ist nach einem Jahr 2022 mit einem Budgetdefizit von voraussichtlich knapp 80 Milliarden Euro das sind 2,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ein ehrgeiziges Unterfangen. Schließlich müssten die öffentlichen Haushalte gegen die erwartete mittlere Konjunkturlage nach den Bestimmungen der Schuldenbremse nahezu ausgeglichen sein. Will der Bundesfinanzminister dies erreichen, sind massive Einsparungen erforderlich. Das ist schon haushalterisch eine große Herausforderung, aber ist diese Anstrengung jenseits der rechtlichen Bestimmungen ökonomisch überhaupt sinnvoll?
Eine andere Situation als in den 70er Jahren
Der Bundesfinanzminister versteht die geplanten Sparmaßnahmen als einen maßgeblichen Beitrag zur Inflationsbekämpfung. Durch die verringerten Ausgaben des Staates würde die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gedämpft und damit die Knappheiten auf der Angebotsseite verringert, der Druck in Richtung steigende Preise, ließe nach, lautet seine Argumentation. Das ist in der Tat eine übliche Begründung für eine auf strikte Sparsamkeit angelegte Finanzpolitik in Zeiten hoher Inflationsraten.
Doch in der heutigen Zeit trägt die Begründung nicht. Es besteht ein gravierender Unterschied zu den Siebziger Jahren als die damals aufkeimende Inflation aus einer Kombination von Nachfrageboom und einem negativen Angebotsschock in Gestalt durch das OPEC-Kartell stark erhöhter Ölpreise entsprang. Zwar spielen auch derzeit negative Angebotsschocks, die durch die Probleme in den Lieferketten und dem Krieg in der Ukraine hervorgerufen werden, eine große Rolle. Aber die Lage der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ist anders.
Es gibt derzeit keinen allgemeinen Nachfrageboom. Denn die Löhne und damit die Arbeitseinkommen sind in den vergangenen Jahren nur maßvoll gestiegen. Das war in den Siebziger Jahren anders. Vor diesem Hintergrund ist es schlicht unnötig, die Nachfrage durch eine sparwütige Fiskalpolitik oder durch hohe Zinsen der Geldpolitik zu bremsen. Es ist sogar gefährlich, denn mit einem solchen Kurs droht ein konjunktureller Absturz mit hoher Arbeitslosigkeit als Folge.
Es muss massiv investiert werden
Die eigentlichen Probleme liegen auf der Angebotsseite. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Vorprodukte sind weder rechtzeitig noch in genügenden Mengen vorhanden. Weltweit sind wegen der Staus in chinesischen Häfen Transportkapazitäten knapp. In von der Pandemie besonders gebeutelten Branchen fehlt das Personal, das sich mittlerweile nach anderen und besseren Jobs umgesehen hat, und schließlich fehlt es am Angebot an Erneuerbaren Energien, die den absehbaren Ausfall der russischen Lieferungen ersetzen und den Umstieg in eine nachhaltige Produktion ermöglichen könnten.
An diesen Stellen liegen denn auch die Wurzeln der derzeitigen Preisschübe und hier muss der Kampf gegen die Inflation ansetzen. Dies geht aber nur, wenn massiv investiert wird, um speziell diese Engpässe zu überwinden. Hierzu sind sowohl erhebliche öffentliche als auch private Investitionen erforderlich.
Inflationsbekämpfung geht heute anders
Genau an dieser Stelle wird die Schuldenbremse zum Hindernis. Sie unterscheidet nicht zwischen öffentlichen Investitionen und öffentlichem Konsum. Ihre ohnehin schwierige Einhaltung im kommenden Jahr wird daher mit hoher Wahrscheinlichkeit, die notwendige Ausweitung der öffentlichen Investitionen behindern. Die Einhaltung der Schuldenbremse bewirkt damit am Ende das Gegenteil dessen, was der Finanzminister beabsichtigt, sie lässt die grundlegenden Ursachen der Inflation fortbestehen und trägt damit sogar zu einer verfestigten Inflationstendenz bei.
Ein relativ einfacher Ausweg aus dieser Malaise wäre, zu beschließen, die Notfallklausel für ein Aussetzen der Schuldenbremse im Angesicht des Krieges in der Ukraine weiter anzuwenden. Besser und nachhaltiger wäre es, sie zu reformieren und auf konsumtive Ausgaben zu beschränken. Noch besser wäre es, sie ganz abzuschaffen und durch eine vernünftige ökonomische Orientierung für die Budgetpolitik zu ersetzen. Aber das dürfte angesichts der langjährigen Prägungen deutscher Wirtschaftspolitik aktuell zu viel verlangt sein. Nur: Inflationsbekämpfung geht heute anders.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.