Inflation: Warum ein drittes Entlastungspaket sinnvoll wäre
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Die Inflation ist zurück in Deutschland. Im Mai lagen die Verbraucherpreise 7,9 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Einen solch hohen Anstieg hatte es zuletzt bei den Ölpreisschocks in den 1970ern gegeben. Kein Wunder also, dass die Inflation derzeit auch ein zentrales Thema der Wirtschaftspolitik ist: Die Europäische Zentralbank hat bereits die Zinsen erhöht. Der Finanzminister argumentiert, wegen der hohen Inflation 2023 unbedingt die Schuldenbremse einhalten zu wollen. Und Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Sozialpartner*innen zu Gesprächen zu einer „konzertierten Aktion“ ins Bundeskanzleramt eingeladen.
Drei Faktoren bedingen Teuerung
Bevor man aber nun hektisch an der einen oder anderen Stellschraube dreht, ist es wichtig, sich zunächst über die Ursachen und Folgen der aktuellen Inflation Klarheit zu verschaffen. Die derzeitige Teuerung ist vor allem von drei Faktoren getrieben:
Erstens von der massiv verteuerten Energie, vor allem als Folge des Ukraine-Kriegs. Erdgas etwa ist im Großhandel mehr als fünfmal so teuer wie Anfang 2021, Öl immerhin 50 Prozent teurer als vor einem Jahr.
Zweitens sind Preise für Nahrungsmittel massiv gestiegen – einmal ebenfalls wegen des Krieges in der Ukraine, der einen beträchtlichen Teil der Getreideexporte Russlands und der Ukraine ausfallen zu lassen droht, und auch wegen der hohen Energiekosten, die Düngemittel und die Lebensmittelverarbeitung verteuern.
Drittens sind nach der Covid-Pandemie immer noch Lieferketten gestört, so dass etwa die Automobilindustrie noch nicht mit voller Kapazität produzieren kann und deshalb die Preise dort steigen.
Eine Rezession vermeiden
Um es noch einmal klarzumachen: In Deutschland und der Eurozone ist die Inflation nicht von einer übermäßig kräftigen Nachfrage verursacht. Deshalb sind auch Rufe nach massiv beschleunigten Zinserhöhungen oder kräftigen Sparprogrammen der öffentlichen Haushalte verfehlt. Diese Maßnahmen würden an der angebotsseitigen Inflation wenig ändern, aber zusätzlich noch das Risiko einer Rezession erhöhen.
Sozial und wirtschaftlich richtig ist hingegen, die Kaufkraft der Bevölkerung und insbesondere einkommensschwacher Gruppen zu stützen. Menschen mit geringen Einkommen leiden stärker unter der Inflation als die Einkommensstarken, weil sie zum einen einen größeren Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben, zum anderen, weil sie üblicherweise wenig Ersparnisse haben, mit denen sie vorübergehend die höheren Preise ausgleichen könnten.
Einmalzahlungen gegen Lohn-Preis-Spirale
Die Inflation ist dabei so hoch, dass die Tarifpolitik den Verlust an Kaufkraft in der Breite kurzfristig nicht ausgleichen kann. Gesamtwirtschaftlich ist kaum zu erwarten, dass die Löhne dieses Jahr um 7 Prozent steigen, was notwendig wäre, um den Kaufkraftverlust ganz auszugleichen. Wenn die Regierung hier mit Maßnahmen wie Einmalzahlungen die Menschen im Land unterstützt, entlastet das die Tarifpolitik und verringert das Risiko, dass aus überhöhten Lohnerhöhungen eine Preis-Lohn-Spirale entsteht, die die Inflation weiter anheizen könnte.
Die Bundesregierung hat mit ihren ersten beiden Entlastungspaketen hier einen guten Anfang gemacht. Auch wenn es dem Großteil der Bevölkerung noch nicht ganz bewusst ist: Mit der Erhöhung von Steuerfreibeträgen, dem Kinderbonus, der Energiepauschale und der vorzeitigen Abschaffung der EEG-Umlage werden die Privathaushalte im zweiten Halbjahr 2022 spürbar entlastet, eine vierköpfige Familie mit zwei erwerbstätigen Eltern etwa um gut 1000 Euro. Und die bisherigen Lohnforderungen und Lohnabschlüsse sind in einem Rahmen, der keine Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale signalisiert.
Neues Entlastungspaket für 2023
Lücken bestehen bei der Entlastung allerdings bei Rentnerinnen und Rentnern, ebenso wie für das kommende Jahr: 2023 dürfte die Inflation zwar nachlassen, aber die Preise dürften hoch bleiben. Gleichzeitig werden die Löhne bis dahin nicht mit den Preisen gleichgezogen haben. Zur Jahreswende 2023 wäre deshalb ein neues Paket mit weiteren Entlastungen gefragt.
Klar ist aber auch: Die hohen Energiepreise machen Deutschland als Ganzes ärmer, weil mehr Geld an die Rohstoffexporteure im Ausland geht. Einen Teil dieser Einkommensverluste kann der Staat durch Einmalzahlungen und andere Maßnahmen ausgleichen, einen Teil aber werden die Bürgerinnen und Bürger direkt tragen müssen. Die Herausforderung ist, diesen Ausgleich so zu gestalten, dass der soziale Zusammenhalt im Land gewahrt bleibt und eine Rezession ebenso verhindert wird wie ein Aus-dem-Ruder-Laufen der Inflation.
ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.