Hungersnot wegen Ukraine-Krieg: Warum die Welt jetzt handeln muss
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Wir alle wünschen uns – überdrüssig von Pandemie und Krieg – „normale“ Zeiten zurück. Nun warnt uns der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, leider zu Recht vor einem „Hurrikan des Hungers“.
Hervorgerufen wird er durch den Krieg in der Ukraine und in der Folge von Exportrestriktionen bei Getreide und Düngemitteln sowie hohen Energiepreisen. Zeitgleich erleben wir Dürregeschehen und Überschwemmungen weltweit, wie wir sie in diesem Ausmaß nie erlebt haben. Von überall kommen Bilder von ausgetrockneten Wasserspeichern, ausgedörrten Feldern und verbrannten Flächen.
Dramatische Folgen durch Krieg und Klimawandel
Kurz gesagt, ein für unmöglich gehaltener Krieg und in ihrer Konzentration ungeahnte Klimaphänomene bewegen die Welt in eine massive Hungerkrise, die insbesondere in einigen dürregeplagten Ländern Afrikas bereits begonnen hat.
Die letzte Welternährungskrise liegt knapp 15 Jahre zurück und hat über 75 Millionen Menschen zusätzlich in den Hunger getrieben. Wie damals, als die Krise u.a. in die Revolten des Arabischen Frühlings mündete, werden auch diesmal die nordafrikanischen Länder zu den ersten Betroffenen gehören. Allen voran wird es Ägypten mit seinen 100 Millionen Menschen treffen, das Land importiert bislang jährlich 13 Millionen Tonnen russisches und ukrainisches Getreide.
China kauft massiv Getreidesaaten auf
Aus Angst vor Hunger unter seinen 1,4 Milliarden Landsleuten hat der chinesische Präsident Xi in den vergangenen Monaten das Thema Ernährungssicherheit zur Chefsache erklärt. Seither versorgt sich China mit massiven Getreide- und Ölsaatenaufkäufen und Einlagerungen von Agrargütern. Viele andere Staaten besitzen kaum noch Optionen, ihre Bevölkerung durch Aufstockung ihrer Lagerbestände vor Hunger zu schützen, insbesondere klimatisch benachteiligte Länder und Inselstaaten, die auch bei maximaler Anstrengung keine 20 Prozent Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln erreichen.
Die unendlich zynische Politik Putins zielt mit den Flüchtlingsströmen durch die brutalen Kriege in Syrien und jetzt in der Ukraine auf eine Destabilisierung unserer westlichen Gesellschaftssysteme ab. Und wir ahnen, wie die Menschen auf eine aussichtslose Ernährungssituation in ihren Ländern reagieren. Mitteleuropa würde den dritten Flüchtlingsstrom innerhalb eines Jahrzehnts zu bewältigen haben.
Preissteigerungen beim Dünger
In der Hungerkrise wird sich 2023 noch ein negativer Effekt einstellen. Bis zu 300 Prozent Preissteigerungen beim Dünger sorgen dafür, die Bäuerinnen und Bauern ihn nur reduziert oder gar nicht mehr einsetzen, was zu Ertragseinbußen von bis zu 50 Prozent führen kann.
Wir müssen jetzt handeln! Umso mehr deshalb, weil die Landwirtschaft natürlichen Vegetationszyklen unterworfen ist, die wir nicht beeinflussen können. Welche Schritte? Das sind viele verschiedene Instrumente, die auf die lokale Situation angepasst werden müssen. Wir haben funktionierende Rezepte zur nachhaltigen und ökologisch verantwortbaren Ertragssteigerung bisher nie ausreichend eingesetzt. Verluste nach der Ernte und Verschwendung von Lebensmitteln nehmen wir oft achselzuckend zur Kenntnis. Ab heute bedeutet eine solche Ignoranz: Wir treiben Menschen damit in den Hunger.
Agrarpolitik ohne Ideologie nötig
Zu den Konsequenzen gehört, dass wir Flächen für Tierfutter und Energieerzeugung umwidmen müssen, aber zur Wahrheit gehört auch, dass Futterweizen oft keine ausreichende Backqualität aufweist und wir Nutztiere brauchen. So ist ihre Gülle als Dünger durch die Preisexplosion beim Mineraldünger ein enorm wichtiger Grundstoff. Wer Landwirtschaft egal aus welcher Blickrichtung ab heute als ideologischen Schauplatz sieht, verbaut den Fokus auf verantwortbare Lösungen, an denen unendlich viele Menschenleben hängen.
So müssen wir ein Augenmerk auf die weltweite Bodendegradation legen und ihr nicht weiter Vorschub leisten und es gilt, möglichst viele agrarökologische Aspekte zu berücksichtigen. Die lokale Produktion gehört in den Fokus, um Hunger vor Ort zu bekämpfen. Und vor allem gilt eines: Die Zahl der (Ver-)Hungernden in den kommenden Monaten hängt davon ab, wie schnell und konsequent wir heute handeln.