Stolz blicken die Deutschen dieser Tage auf die internationale Berichterstattung. Die Opferzahlen niedrig, das wirtschaftliche Hilfspaket immens, das kann sich sehen lassen im globalen Vergleich. Nicht einmal autoritäre Maßnahmen brauchte es für diese Erfolgsstory. Und nun rollt auch der Ball wieder. In aller Bescheidenheit, der Nachweis deutscher Effizienz und Gründlichkeit, er ist vollbracht. Wenn es uns jetzt gelingt, auch den Sommerurlaub noch zu retten, dann ist die Welt wieder in Ordnung.
Wir kehren zurück zur Normalität, nur das Homeoffice hat noch Bestand, schreibt Spiegel-Online. Ah ja? War da nicht noch was? Die ausgesprochen rudimentäre Kinderbetreuung hat ebenfalls noch Bestand, das aber scheint sich nicht so gut zu machen in den Schlagzeilen. Die Corona-Pandemie hält so manche bittere Wahrheit parat. Wer wüsste das in diesen Tagen besser als die zahlenmäßig üppige, in der gesellschaftlichen Bedeutung aber offenkundig absolut untergetauchte Gruppe der Frauen, Kinder und Familien. Frauen galten früh als die Verliererinnen der Pandemie. Vom Rettungsboot dürfen wir zuerst runter, ins öffentliche Leben aber zuletzt zurück.
Zuletzt wurde ernsthaft tagelang darüber diskutiert, ob die Lohnfortzahlung für Eltern, die ihren Nachwuchs zu Hause betreuen, zu verlängern sei. Immerhin würden Kindergärten und Schulen verstärkt wieder öffnen. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Schülerinnen und Schüler bis zu den Sommerferien allenfalls an ein oder zwei Tagen für einige Stunden unterrichtet werden, war allein die Debatte eine Frechheit.
Bessere Vorbilder: Dänemark, Norwegen, Frankreich
Dass es auch anders geht, zeigt der Blick ins Ausland. In zahlreichen europäischen Ländern stand die Öffnung von Grundschulen und Kindergärten an erster Stelle, nicht an vorletzter. In Dänemark sind die Kitas und Grundschulen bereits seit einem Monat wieder geöffnet. Ministerpräsidentin Frederiksen nannte explizit die Entlastung der Eltern und deren Rückkehr ins Berufsleben als Grund für diese Entscheidung. Auch in Norwegen sind Kindergärten und Grundschulen wieder geöffnet, ähnlich sieht es in der Schweiz und den Niederlanden aus. Selbst in Frankreich sind die Grundschüler zurück in der Klasse, dabei war der dortige Lockdown weitaus radikaler als bei uns. Ob es ein Zufall ist, dass in diesen Ländern die Geburtenrate signifikant höher ist als in Deutschland? Oder die Erwerbsquote von Frauen? Wohl kaum.
Gleich zu Beginn der Krise wurde jungen Familien im deutschen Homeoffice und insbesondere den Müttern zugerufen, sie sollten sich mal nicht so anstellen in ihrer häuslichen Selbstisolierung, anderen ginge es viel schlimmer. Immerhin stehe nicht die geschäftliche Existenz auf dem Spiel, lediglich die Work-Life-Balance gerate ins Wanken. Und wupps, verkriecht man sich verschüchtert im Wohnzimmer und schämt sich der eigenen Undankbarkeit. Wer hat uns das eingeimpft, dass diese Anliegen mickrig und privat sind? Und – noch wichtiger – wie wird man das wieder los? Wie sorgt man dafür, dass die nächste Generation nicht ähnlich unterwürfig schweigsam und duldend vor sich hin werkelt?
Fehler im System, nicht bei den Frauen
Klar, motzende Frauen gelten gemeinhin als uncool. Übertroffen werden sie darin allenfalls noch von Vätern, die länger als zwei Monate Elternzeit nehmen. Entsprechend duckt Frau sich verschämt weg und versucht, ihren Homeoffice-Homeschooling-Haushaltskram allein zu organisieren. Sonst sieht es noch so aus, als würde man seinen Alltag nicht gewuppt bekommen. Offenkundig handelt es sich um millionenfache Individualinteressen. Tatsächlich aber liegt der Fehler im System.
Das politische Desinteresse, es fügt sich ein in das größere Bild. Frauen und Familien haben keine Lobby in diesem Land. Offenkundig sind sie nicht systemrelevant, um im Corona-Sprech zu bleiben. Doch was für ein System ist das, in dem zwei Drittel der Bevölkerung schlicht nicht relevant sind?
Um drei Jahrzehnte werde derzeit der Fortschritt bei der Gleichberechtigung zurückgeworfen, warnt die Soziologin Jutta Allmendinger. Drei Jahrzehnte Fortschritt dahin in knapp drei Monaten? Da ist wohl grundsätzlich etwas faul. Gleichstellung kann doch nichts sein, was nur in Schönwetterzeiten zum Tragen kommt. Entweder wir sind auf dem Weg oder eben nicht. Und wir Deutschen sind sehr offensichtlich nicht auf dem Weg. Die schlechtbezahlte Kindergärtnerin, die polnische Pflegerin der dementen Oma und die ukrainische Putzfrau erleichtern vielleicht den Alltag zwischen Beruf und Familie, die Gleichberechtigung können sie nicht wuppen. Wir haben uns etwas vorgemacht.
Fußball vor Frauen – da ist etwas faul
Warum findet sich so keine politische Heimstatt. Warum will keiner unser Kreuz auf dem Wahlzettel haben? Oh, glückliche Fußballanhänger, um deren Gunst die Parteien gerade leidenschaftlich buhlen. Wie angenehm warm muss es im Lichte dieser medialen und politischen Aufmerksamkeit sein. Gleichstellung und Kindeswohl dagegen finden sich in der politischen Heimatlosigkeit wieder. In Deutschland gibt es allein 700.000 alleinerziehende Mütter. Zu den vielbeschworenen Leistungsträgern aus der Mitte der Gesellschaft scheint die Politik sie nicht zu zählen.
Selbstverständlich, an pflichtschuldigen Bekenntnissen zu Familie und Bildung mangelt es nicht. Indes, es ist keine Leidenschaft dahinter, ein Herzensanliegen ist es nicht. Diese Erkenntnis schmerzt. Noch verstörender aber ist der Eindruck, dass es auch kein linkes Anliegen ist.
Vorrangig droht kein Ungemach. Der Leidensdruck scheint nicht hoch genug. Es grummelt, doch es wird nicht zum Proteststurm. Für das rechtspopulistische Lager mit ihrem Ideal des Hausfrauendaseins ist dieser Unmut nicht abzufischen. Einerseits ist das für Demokratie und politische Kultur im Land ein Glück. Gleichzeitig aber drängt sich zunehmend der unangenehme Eindruck auf, dass genau hier eine Ursache der aktuellen Misere liegt. Es fehlt schlicht das Drohpotential. Hier droht kein Abwandern zu den Populisten. Wer hier aber keine abschreckende Kulisse aufbauen kann, dem bricht die politische Aufmerksamkeit weg – sofern sie denn überhaupt einmal da war.
Angst vor dem Gesellschaftsmodell nach der Krise
Zu Beginn der Krise wurde wenigstens noch debattiert, ob Corona nun dem Kapitalismus ein Ende setzt. Inzwischen stirbt diese Hoffnung einen leisen Tod. Es graust einen beim Gedanken, welches Gesellschaftsmodell am Ende des Corona-Tunnels aufblitzt. Wenn nun ein Rückschritt um Jahrzehnte beklagt wird, bedeutet das in erster Linie, dass die Placebo-Fortschritte verpufft sind. Was sich innerhalb von Wochen einreißen lässt, kann solide nicht gewesen sein. Einiges tritt schlicht deutlicher zu tage. Dass nach Jahrzehnten der Debatten eine Abschaffung des Ehegattensplittings noch immer in weiter Ferne liegt, braucht einen nicht mehr zu wundern. Wir sind noch nicht so weit. Das haben die Debatten der vergangenen Woche schonungslos offengelegt.
Doch immerhin, eine schonungslose Analyse kann ein erster Schritt sein. Dieser Tage wird oft Winston Churchill zitiert: Lass‘ keine Krise ungenutzt verstreichen. In diesem Sinne liefert Corona eine unschlagbare Gelegenheit. Wie unterm Brennglas tritt die Selbsttäuschung der vergangenen Jahrzehnte zutage. Es ist Zeit, den eigenen Unmut auf die Straße zu tragen – und in die Parteien.
Emanzipation ist ein Auftrag für die Sozialdemokratie
Gerade für die Sozialdemokratie liegt hier Auftrag und Chance zugleich. In ihrer langen Geschichte hat sie sich immer als emanzipatorische Bewegung verstanden. Ihre größten Erfolge feierte sie dort, wo sie den zuvor wenig Gehörten bei der Selbstermächtigung beistand. Darauf sollte sie sich besinnen. In den vergangenen Jahren schien der Niedergang des progressiven Lagers kaum zu stoppen; die Wähler gingen reihenweise von der Fahne. Vielleicht sollten zur Abwechslung die Wählerinnen mal stärker in den Blick genommen werden.
Bestenfalls ließe sich auf diese Weise auch das vielbeschworene Dilemma des Sich-Entscheiden-Müssens zwischen traditionellem Arbeitermilieu und urbaner Neu-Bourgeoisie lösen. Immerhin – selbst der akademisierten Mittelschicht mit sicherem Jobverhältnis gingen in der Corona-Nagelprobe schnell die Privilegien verloren. Hier liegt die Möglichkeit eines radikalen Neubeginns, bei dem die Interessen gutsituierter Bildungsbürgerinnen ebenso wie die Herausforderungen von HartzIV-Aufstockerinnen Beachtung finden. Gute Betreuungs- und Bildungsangebote und ein Fokus auf der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nutzen allen. Wie die aktuelle Krise zeigt, muss es dabei um greifbare Fortschritte gehen. Von wohlfeilen Bekenntnissen und Belobigungen ohne praktische Folgen kann Frau sich nichts kaufen. Der Ebene proklamatorischer Sonntagsreden geht schnell die Puste aus, wie aktuell zu beobachten ist.