Meinung

Gegenwind für die AfD: Jetzt ist jede*r Einzelne gefragt

Die wochenlangen Demonstrationen zeigen Wirkung: Die AfD verliert an Zustimmung. Jetzt sind Politik und Bürger*innen gefragt, um den Rechtsruck dauerhaft zu stoppen.

von Christian Wolff · 12. Februar 2024
Kundgebung gegen Rassismus, Antisemitismus und Hetze am 11. Februar in München.

Auch die AfD steht im Fokus: Kundgebung gegen Rassismus, Antisemitismus und Hetze am 11. Februar in München. 

Noch vor wenigen Wochen schien es für viele ausgemacht: Die AfD wird bei den anstehenden Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni 2024 und dann vor allem bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg am 1. September 2024 triumphale Wahlergebnisse einfahren. In Sachsen schien nicht einmal eine absolute Mehrheit für die AfD bei den Landtagswahlen außer Reichweite. 

Die Bauernproteste, denen sich vielerorts Speditionsunternehmer und Handwerker anschlossen mit offener Flanke zur AfD, sowie das trübe Erscheinungsbild der Ampel-Koalition beförderten eine Stimmungslage, als stehe Deutschland kurz vor dem Abgrund und das demokratische System vor dem Zusammenbruch. 

Ich gebe zu: Zum Jahresbeginn hat auch mich ein Gefühl der Ohnmacht beschlichen, als müsse man sich zumindest in Ostdeutschland auf rechtsextreme AfD-Minister einstellen.

Die Menschen sind aufgewacht

Doch inzwischen vollzieht sich ein erstaunlicher Stimmungswandel. Bundesweit sind Bürgerinnen und Bürger aufgewacht – nicht aufgrund eines medial gepushten Katastrophenszenarios, gespeist von Wut und Empörung. Vielmehr wirkten die Recherchen von Correctiv über die faschistischen Gedankenspiele rechtsextremistischer Netzwerke wie ein Weckruf, wie das schrille Heulen einer Sirene. 

Vielen Bürger*innen fiel es wie Schuppen von den Augen: Unser Grundproblem ist nicht das manchmal kryptische Agieren der Bundesregierung, sind nicht die vielen ungelösten Herausforderungen im Blick auf den Klimawandel, ist nicht der marode Zustand der Deutschen Bahn, sind nicht Streiks und Protestaktionen gesellschaftlicher Gruppen. 

Als Hauptproblem erweist sich, dass rechtsextremistische Zirkel seit Jahrzehnten systematisch an der Zerstörung der freiheitlichen Demokratie arbeiten. Gleichzeitig sind zu viele Bürger*innen bereit, diesem Treiben auch noch durch Stimmabgabe für die AfD einen Schub zu verleihen – immer mit der Attitüde versehen,dass sie, die AfD, den Willen des Volkes, den Willen der schweigenden Mehrheit verkörpern würde. Hinzu kommt die seit Jahren wirksame Neigung, die Gefahr des Rechtsextremismus zu verharmlosen.

Schluss mit der Verharmlosung

Doch nun erkennen immer mehr Menschen: Nichts wird dadurch besser, dass wir die Demokratie, die Menschenrechte, die kulturelle Vielfalt, die Offenheit zur Disposition stellen. Nichts wird dadurch besser, dass wir den Höckes und Weidels noch mehr Einfluss geben. Darum muss Schluss sein mit der Verharmlosung der Gefahr, die vom organisierten Rechtsextremismus, von der AfD ausgeht. 

Darum sollte auch eine mögliche AfD-Mehrheit bei den anstehenden Wahlen nicht länger herbeigeredet werden. Darum dürfen wir, die Bürger*innen Deutschlands, uns nicht länger darauf verlassen, dass sich das Problem des Rechtsextremismus von selbst erledigt – spätestens dann, wenn die gewählten Politiker*innen ihre Hausaufgaben richtig erledigen. 

Nein, in der Demokratie kommt es auf jede einzelne Bürgerin, jeden Bürger und auf seinen/ihren Mitgestaltungswillen an. Nicht in dem Sinn, dass mit Mistgabeln aufgeräumt wird, wie es schon die Pegida-Protagonistin Tatjana Festerling forderte, und das „Volk“ die Macht ergreift. Das ist nur die Umschreibung gewalttätiger Zerstörung demokratischer Prozesse. 

Verantwortung für Erhalt der Demokratie

Vielmehr zählt es jetzt, dass jeder Bürger, jede Bürgerin seine und ihre Verantwortung für den Erhalt der parlamentarischen Demokratie, der kulturellen Vielfalt, der Meinungs-, Religions- und Pressefreiheit sieht und einsetzt.

So meldet sich der Bürger, die Bürgerin landauf, landab seit vier Wochen zurück, verlässt die Zone erlahmten Engagements aus der Corona-Zeit und bringt zum Ausdruck: Die Demokratie, das sind wir, die Bürger*innen, in aller Unterschiedlichkeit unserer jeweiligen Herkunft, weltanschaulichen Überzeugung, politischer Ausrichtung. Und: Wer die Demokratie angreift, der hat nicht einen Olaf Scholz oder Friedrich Merz zum Gegner, sondern mich, den Bürger, die Bürgerin.

Die Demonstrationen und Kundgebungen der letzten Wochen unterstreichen eindrucksvoll: Jeder und jede einzelne nimmt seine/ihre Verantwortung wahr und spricht vor allem den Rechtsnationalisten ab, was sie behaupten: Sie seien das Volk, sie würden den Willen der Mehrheit verwirklichen und den Stall ausmisten, für Ordnung sorgen. 

Werte mit Füßen getreten

Nein – sie sind eine Gefahr für unser Gemeinwesen. Sie treten all die Werte, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes in der Verfassung verankert haben, mit Füßen.

Jetzt kommt es darauf an, dass Politik sich nicht an der AfD orientiert und ihre Narrative bedient. Politik muss sich an der demokratischen Wachheit der Bürger*innen ausrichten. Politik kann sich, das zeigen die Massendemonstrationen, auf das Demokratiebewusstsein der Bürger*innen verlassen. Sie bejahen gesellschaftliche Vielfalt, das friedliche Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, den offenen Diskurs. 

Das allerdings nimmt die Demonstrant*innen in die Pflicht. Es kommt jetzt nicht darauf an, die eigenen politischen Vorstellungen zum Maßstab aller Dinge zu machen. Den Rechtsextremismus bekämpft man nicht, indem man seine politischen Richtigkeiten wie ein Schutzschild vor sich herträgt. 

Vielfalt sichtbar machen

Vielmehr ist ein wichtiges Instrument in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus die demokratische Vielfalt. Darum ist es entscheidend, dass auf den Demonstrationen und Kundgebungen die zivilgesellschaftliche Vielfalt sicht- und hörbar wird. 

Wir sollten uns bewusst machen: Es ist das eine, denen zu danken, die in den vergangenen Jahrzehnten wach und unerschrocken dem Rechtsextremismus die Stirn geboten haben und dabei oft genug alleingelassen wurden. 

Das andere ist aber genauso wichtig: die Menschen zu ermutigen, die bis jetzt abseitsstanden, sich frustriert zurückgezogen haben, gar nicht mehr zu Wahl gegangen sind oder sogar mit dem Gedanken gespielt haben, AfD zu wählen, jetzt aber merken, dass ihr Engagement für die Demokratie vonnöten ist. 

Innere Emigration beenden

Und: Es gilt die nicht wieder zu verschrecken, die im ländlichen Raum endlich die innere Emigration beenden und sich den Rechtsextremisten in den Weg stellen. Nicht wenige von ihnen machen den Unterschied aus zwischen 10.000 oder 70.000 auf den Straßen Leipzigs und zwischen 18 oder 35 Prozent für die AfD. 

Sorgen wir also dafür, dass der Stimmungswandel anhält und alle Erwartungen und Befürchtungen zu Beginn des Jahres Lügen straft.

Der Beitrag erschien zuerst im Blog des Autors.

Autor*in
Christian Wolff
Christian Wolff

ist evangelischer Theologe und seit 2014 als Blogger und Berater für Kirche, Politik und Kultur tätig. Seit 1970 ist er Mitglied der SPD.

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5 Kommentare

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mo., 12.02.2024 - 12:38

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Schön wäre es, vielleicht bei
Umfragen? Bei den Nachwahlen in Berlin hat sie doch - zum Glück nicht so stark - Zuwächse erhalten?

Ein wirklicher Stimmungswandel im Hinblick auf deie kommenden Wahlen kann nur durch eine Änderung in der Politik erfolgen, indem die Schuldenbremse aufgehoben wird, indem eine gerechte Steuerpolitik erfolgt, indem das Lieferkettengesetz nicht weiter von der FDP blockiert wird, indem ein Tariftreuegesetz verabschiedet wird etc.etc. !!!

"Bei den Nachwahlen in Berlin hat sie doch - zum Glück nicht so stark - Zuwächse erhalten?"

In den Wahlbezirken, in denen neu gewählt wurde, kam sie auf einen Zuwachs von 5,5%. Da das aber nur 1/5 der gesamten Wahlbezirke waren, ergibt sich insgesamt nur ein Zuwachs von 1 Prozent.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mo., 12.02.2024 - 13:14

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die bisherigen Demonstrationen haben ja offensichtlich nur den Rückenwind abschwächen können, den die AfD erfährt. Sonst wäre die Zuwachsraten bei den Nachwahlen wohl noch sehr viel höher ausgefallen.

Was folgt daraus? Es müssen also noch mehr und noch häufiger mehr Menschen auf die Straße gebracht werden, Gelegenheit dazu besteht bei vielen Gelegenheiten- jetzt gerade können die Karnevalsumzüge genutzt werden. Dann sind für Gütersloh Demonstrationen der früheren MIELE Arbeitnehmer geplant, an die kann man sich ja ohne weitere ranhängen.

ich gebe die Hoffnung nicht auf, wenn wir alle Kräfte sammeln, kann es gelingen. Zudem sollte auch von Staatswegen ein Unkostenbeitrag gezahlt werden, eine Art Bürgerrechtspauschale zum Bürgergeld, um die Teilnahme an den Demonstrationen zu ermöglichen, wo Reiseaufwand entsteht. Ich hoffe sehr, die Partei ist- was das angeht- nicht untätig , sondern arbeitet schon an entsprechenden Lösungen

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Mo., 12.02.2024 - 16:25

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"Die wochenlangen Demonstrationen zeigen Wirkung: Die AfD verliert an Zustimmung"

Aber nur in den Umfragen. Bei der Wahl in Berlin hat sie in den Bezirken, in denen neu gewählt wurde, 5.5% zugelegt.

Umfragen haben generell eine Tolleranz von ca. +-3 Prozent. Abweichungen von wenigen Prozent sollte man nicht überbewerten. Entscheidend ist das Ergebnis bei Wahlen.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 13.02.2024 - 08:43

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Da machen sie ein „Rückführungsverbesserungsgesetz“; Nein nicht die afd, sondern die Ampel ! Mit welchem Maß wird denn hier wieder gemessen ?