Meinung

Fußball-WM in Katar: Ich schaue, aber ohne Leidenschaft

Ab Sonntag läuft die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Jonas Jordan wird sich wohl einige Spiele anschauen. Doch ihm fehlen anders als bei früheren Turnieren die Vorfreude und die Begeisterung.
von Jonas Jordan · 18. November 2022
Im Khalifa International Stadium tritt Deutschland zum ersten Gruppenspiel am Mittwoch gegen Japan an.
Im Khalifa International Stadium tritt Deutschland zum ersten Gruppenspiel am Mittwoch gegen Japan an.

Auf Twitter habe ich diese Woche die wahrscheinlich bislang ehrlichste Umfrage zur anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gelesen. Die Frage lautete: „Wie viele Spiele wirst du schauen?“ Und die Antwortmöglichkeiten waren recht simpel: 0 oder 1-64. Ich gebe zu, es werden voraussichtlich mehr als null Spiele sein. Dafür bin ich einfach zu großer Fußball-Fan. Auch wenn bei dieser Weltmeisterschaft vieles anders sind.

Unehrliche Diskussionen

Zwei Tage sind es noch bis zum Eröffnungsspiel dieser Weltmeisterschaft – Katar gegen Ecuador – das emotional so gar nichts bei mir auslöst. Früher war das anders. Ich habe wochenlang vorher die Kader, Hymnen und Hauptstädte der Teilnehmerländer auswendig gelernt, Panini- und Hanuta-Bilder gesammelt und eingeklebt, kannte sämtliche Stadien und mögliche Turnierkonstellationen. Diesmal habe ich gestern zum ersten Mal gelesen, wie die Stadien heißen und es wieder vergessen.

Viel ist in den vergangenen Wochen über einen Boykott diskutiert worden. Es gab spannende Dokumentationen über die Menschenrechtssituation und die toten Arbeiter auf den WM-Baustellen, im ZDF mit Jochen Breyer, in der ARD mit Thomas Hitzlsperger. Und doch empfinde ich viele der Diskussionen als unehrlich. Die WM boykottieren, aber Gaslieferungen aus Katar befürworten. Die WM diesmal boykottieren, aber vor vier Jahren in Russland noch mitgefiebert und gejubelt haben. Bei der Weltmeisterschaft in Russland, das sich kurz vorher einen Teil seines Nachbarlandes gewaltsam einverleibt hatte. Die korrupten und intransparenten Strukturen der FIFA kritisieren, aber beim sogenannten Sommermärchen 2006 in Deutschland großzügig darüber hinweg geschaut haben.

Keine Jubelstimmung

Das alles überzeugt mich nicht, plötzlich in Jubelstimmung auszubrechen, mich mit Bier und Chips vor den Fernseher zu legen und alle 64 Spiele anzuschauen, wie ich es noch 2014 bei der Weltmeisterschaft in Brasilien getan habe. Und doch bin ich als Fußball-Fan neugierig auf den sportlichen Wettkampf, die Überraschungsteams ebenso zu erleben wie scheiternde Topfavoriten, die Topstars im Wettstreit ebenso wie Newcomer und alte Bekannte wie Mexikos Torwart Guillermo Ochoa, der regelmäßig alle vier Jahre über sich hinauswächst.

Ja, ich werde 1 bis 64 Spiele der Weltmeisterschaft in Katar schauen. Aber ohne große Leidenschaft, ohne das Gefühl, bei etwas Großem und Unvergleichlichem zuzuschauen. Dafür ist im Vorfeld zu viel passiert, zu viel kaputt gegangen. Die FIFA hat zu viele Chancen verpasst. Vor allem aber werde ich mich freuen auf das Ende dieser ewig-langen Winterpause, wenn am 21. Januar Eintracht Frankfurt gegen Schalke 04 im Frankfurter Stadtwald spielt.

Warum er sich die Fußball-WM nicht anschauen wird, schreibt vorwärts-Redakteur Kai Doering hier.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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