Meinung

Frauen halten den Laden am Laufen – nicht nur in Zeiten von Corona

Die Corona-Pandemie wirkt an vielen Stellen wie ein Brennglas. Sie zeigt mit aller Deutlichkeit, wo es überall auf Frauen ankomment – und an welchen Stellen Politik künftig ansetzen muss, um sie besser zu unterstützen.
von Franziska Giffey · 24. April 2020
Frauen können alles und halten den Laden nicht nur in der Corona-Krise am Laufen. Von der Politik brauchen sie deshalb mehr Unterstützung, meint Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.
Frauen können alles und halten den Laden nicht nur in der Corona-Krise am Laufen. Von der Politik brauchen sie deshalb mehr Unterstützung, meint Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.

Mein Leitsatz für die Gleichstellungspolitik ist „Frauen können alles“. Und selten wird das deutlicher als in diesen Tagen. In dem Ausnahmezustand, in dem wir uns während der Corona-Pandemie befinden, halten Frauen den Laden am Laufen: ob als Pflegerin im Krankenhaus oder im Pflegeheim, als Kassiererin im Einzelhandel oder als Erzieherin in der Notbetreuung. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung liegt der Frauenanteil in den „systemrelevanten Berufsgruppen“ bei knapp 75 Prozent (In Krankenhäusern arbeiten 76 Prozent Frauen, im Einzelhandel 72,9 Prozent, in Kindergärten und Vorschulen 92 Prozent).

Frauen können alles – das ist eine Tatsache, nicht nur in Zeiten von Corona. Der Satz ist aber nicht nur Fakt, sondern auch Forderung. Denn viel zu oft werden Frauen Hindernisse in den Weg gelegt. Viel zu oft müssen sie in ihrem Alltag mit schlechten Arbeitsbedingungen, schlechter Bezahlung und fehlenden Perspektiven kämpfen. Vor allem in den Berufen, die jetzt als unverzichtbar eingestuft wurden. 

Wir brauchen strukturelle Verbesserungen in den sozialen Berufen

5,7 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in den sozialen Berufen: in Beratungsstellen und sozialen Einrichtungen, in Kitas, in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Das ist fast ein Fünftel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. 80 Prozent von ihnen sind Frauen.

Schon vor Beginn der Corona-Krise war klar: Die Arbeit, die in den sozialen Berufen geleistet wird, ist wichtig und wertvoll. Trotzdem behandeln wir die Menschen in diesen Berufen immer noch ein bisschen so, als würden sie ihre Aufgaben nebenbei oder aus reiner Nächstenliebe wahrnehmen – wie früher Ehefrauen, Töchter oder Schwiegertöchter. Ernsthafte Anerkennung, wie sie „Männerberufen“ entgegengebracht wird, ist selten. Das wollen wir ändern, indem wir die sozialen Berufe aufwerten. Einmalzahlungen sind schön, gebraucht werden aber strukturelle Veränderungen: bessere Bezahlung auf Dauer, bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen und bessere Chancen auf Karriere.

Nur 20 Prozent der Beschäftigten in der Pflege arbeiten zu tariflichen Bedingungen. Wenn wir eine Aufwertung der sozialen Berufe erreichen wollen, dann brauchen wir dafür auch eine stärkere tarifliche Bindung.

Derzeit verhandeln die Arbeitgeber in der Pflegebranche und die Gewerkschaft Ver.di über einen neuen Tarifvertrag. Wenn der Tarifabschluss da ist, will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ihn als allgemeinverbindlich für die ganze Bundesrepublik erklären. Das ist ein wichtiger Schritt, denn wir brauchen einen bundesweit gültigen Tarif. Auch deshalb sollte der Tarifabschluss deutlich machen, welchen Stellenwert die Pflege in unserem Land hat – nicht nur in der Corona-Krise.

Die Arbeit von Frauen ist unverzichtbar – auch zu Hause

Frauen halten den Laden am Laufen – das gilt nicht nur für die Berufe, die in der Krise unverzichtbar sind. Es gilt auch für den Alltag in den Familien zu Hause. Familien stehen gerade vor großen Herausforderungen. Kinder wollen betreut werden, es muss Essen gekocht, Wäsche gewaschen und geputzt werden – und das im Moment so gut wie ohne Unterstützung von außen. Dazu kommen in vielen Fällen die Schulaufgaben im „Homeschooling“. Und bei alldem müssen Eltern auch noch ihre eigene Arbeit dort, wo es möglich ist, im Homeoffice erledigen.

Das ist eine große Belastung für viele Eltern. Aber auch für die Kinder bedeutet es eine große Veränderung, wenn sie nicht zur Kita und in die Schule können. Denn dort sind ihre Sozialkontakte, dorthin gehen sie zum Lernen – und für manche Kinder ist die Kita oder die Schule auch der Ort, an dem sie Aufmerksamkeit, klare Regeln und ein gesundes Mittagessen bekommen.

Die zusätzlichen Aufgaben im Haushalt und bei der Kinderbetreuung sind in den letzten Wochen in vielen Familien mehrheitlich den Frauen zugefallen – auch wenn beide Eltern arbeiten. Es ist wichtig, dass wir in dieser Ausnahmesituation nicht in alte Rollenmuster verfallen, die dann auch nach Ende der Krise weiter Bestand haben. Denn nur wenn Sorgearbeit gerecht zwischen Männern und Frauen verteilt ist, haben Frauen die gleichen Chancen auf berufliche Selbstverwirklichung wie Männer.

Alleinerziehende besonders in den Blick nehmen

Eine Gruppe dürfen wir dabei auch nicht vergessen: Während die gegenwärtige Situation schon für Paarfamilien herausfordernd ist, ist sie für die 1,5 Millionen Alleinerziehenden oft überwältigend. Für viele ist es schlichtweg nicht möglich, Job und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Alleinerziehenden nun bei einer schrittweisen Wiederöffnung der Kinderbetreuung besonders in den Blick nehmen.

Rund 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen, die oft in Teilzeit arbeiten und mit kleinen Einkommen über die Runden kommen müssen. Familien mit kleinen Einkommen trifft die Krise besonders hart – wenn etwa die Kinderbetreuung oder ein Teil des Einkommens wegfällt.

Für diese Familien haben wir den Notfall-Kinderzuschlag (KiZ) geschaffen. Familien, die jetzt akute Verdienstausfälle haben, können vom KiZ profitieren. Einer Paarfamilie mit zwei Kindern und einem Einkommen von ca. 1.400 bis ca. 2.400 Euro netto bei mittleren Wohnkosten stehen jetzt mit dem Notfall-KiZ zum Beispiel bis zu 185 Euro im Monat pro Kind zu, zusätzlich zu Kindergeld und Wohngeld. Bis Ende September gilt ein Bemessungszeitraum von nur noch einem Monat statt 6 Monaten.

Die Corona-Pandemie wirkt an vielen Stellen wie ein Brennglas. Sie zeigt mit aller Deutlichkeit, an welchen Stellen unsere Politik ansetzen muss – sei es bei der Aufwertung der sozialen Berufe, der gerechten Verteilung von Sorgearbeit oder der Unterstützung von Familien mit kleinen Einkommen.

Das Zuhause ist für viele Frauen ein gefährlicher Ort

Das gilt auch für das Thema Gewalt gegen Frauen. In der Krise verschärft sich die Gefahr, die von häuslicher Gewalt ausgeht. Für viele Frauen ist das Zuhause ein gefährlicher Ort. Und dieses Zuhause wird umso gefährlicher, je weniger Möglichkeiten es gibt, sich aus dem Weg zu gehen – und je weniger Kontrolle von außen, denn regelmäßige Kontakte in der Kita, der Schule und bei der Arbeit fallen weg.

Wie sehr sich die Lage in den eigenen vier Wänden in den letzten Wochen verschärft hat, wissen wir womöglich erst nach Ende der Krise, wenn Frauen vermehrt Hilfs- und Beratungsangebote wahrnehmen. Aber schon jetzt ist klar: Auch in Zeiten von Corona müssen Frauen, die von Gewalt betroffen sind, die Hilfe bekommen, die sie benötigen. Wir setzen alles daran, um den Betrieb und die Funktionsfähigkeit des Hilfesystems aufrecht zu erhalten – zum Beispiel mit dem kostenlosen Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das unter der Nummer 08000 116 016 für viele Frauen eine erste Anlaufstelle ist.

Mit den Bundesländern habe ich verabredet, dass unbürokratisch Hotels oder leerstehende Ferienwohnungen durch Länder und Kommunen für die Unterbringung ausgeweitet werden können, wenn die Kapazitäten in den Frauenhäusern erschöpft sind.

Die Corona-Krise schärft den Blick dafür, an welchen Stellen unser System verbessert werden muss. Aber sie macht auch deutlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind: mit unseren Bemühungen zur Aufwertung der sozialen Berufe, mit den Modellen zur partnerschaftlichen Aufteilung der Sorgearbeit etwa beim ElterngeldPlus, mit dem Kampf gegen Gewalt an Frauen und mit der Forderung nach mehr Frauen in Vorständen. Im Bundesfrauenministerium nehmen wir diese Ausnahmesituation zum Anlass um daran zu erinnern: Frauen halten den Laden am Laufen halten – nicht nur in Zeiten von Corona.

Autor*in
Franziska Giffey

ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

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