Digitalisierung und SPD: Was kann der Staat besser als die Privatwirtschaft?
Ute Grabowsky / photothek.net
Der Begriff „Digitalisierung“ ist in aller Munde und natürlich muss die SPD zu dem, was damit eigentlich gemeint ist, Stellung beziehen. Als erstes müsste sie analysieren, was gesellschaftlich betrachtet wichtig und was unwichtig ist. Sind Tablets die Lösung unseres Bildungsproblems? Muss jeder einen Zugang für das 5G-Netz haben? Ist die Versorgung Deutschlands mit Glasfaserkabeln und Handymasten bei Privatunternehmen überhaupt in den richtigen Händen?
Daseinsvorsorge als Grundprinzip
Fangen wir mit der Frage an, ob es normal ist, dass die Telefonkonzerne in den Städten ein gutes Geschäft machen dürfen, bei der Versorgung in der Fläche aber der Staat ran soll?
Bei der Bahn und den Krankenhäusern stellt sich die gleiche Frage wie bei der Netzabdeckung von Glasfaserkabeln oder Handymasten. Jedes Mal wird in der SPD auf den Einzelfall bezogen rumgeeiert, weil die Grundsatzdiskussion nicht geführt wird: Die Grundsatzdiskussion darüber, was zur Daseinsvorsorge gehört. Was kann der Staat besser als die Privatwirtschaft? Welche Bereiche gibt es, bei denen die Gewinnmaximierung nicht im Vordergrund stehen darf?
Es geht dabei um eine grundsätzliche Festlegung, um eine Richtschnur. Die könnte so aussehen, dass die SPD klar festlegt, dass immer dann, wenn es um eine flächendeckende oder sozialverträgliche Versorgung mit grundlegend wichtigen Diensten oder Produkten geht, diese kein Fall für die Privatwirtschaft sind. Gehören Straßen, Schulen, Schienen, Krankenhäuser, Trinkwasserversorgung oder Schwimmbäder dazu? Die Versorgung mit Glasfaserkabeln oder Handymasten vielleicht auch? Wenn man diese Fragen grundsätzlich geklärt hat, dann ist es leichter, im Einzelfall zu entscheiden.
Digitale Bildung hinterfragen
Es geht auch darum, zu definieren, welche Rolle der Staat bei der Entwicklung neuer digitaler Technologien spielen soll. Die Aufgabe der Politik ist doch, die gesellschaftlichen und rechtlichen Leitplanken für technische Entwicklungen zu bieten.
Die Bundesregierung möchte jeder Schule Geld zur Verfügung stellen, um in WLAN und Tablets für Schüler investieren können. Aber sollte man nicht vorher einmal diskutieren, was „digitale Bildung“ überhaupt bedeutet? Muss ich vielleicht, um Wissen aus dem Netz zu schöpfen, vorher ganz viel Wissen im Kopf haben, vielleicht sogar aus Büchern oder vom Lehrer vermittelt, damit ich im Netz zwischen Information und „Fake“ unterscheiden kann? Welche Rolle können digitalen Hilfen im Unterricht spielen?
Tablets alleine bringen noch kein Wissen
Der neuseeländische Pädagoge John Hattie führt seit Jahren in regelmäßigen Abständen eine Metastudie über alle weltweit verfügbaren Studien durch, die davon handeln, was das Lernen der Schüler positiv beeinflusst. Daraus macht er dann eine Rangfolge, zuletzt im Jahr 2016, mit 252 Faktoren.
In dieser Rangliste stehen an erster Stelle die Lehrer, gefolgt von der Selbsteinschätzung, dem Selbstvertrauen der Schüler, dann kommen die Lehrer, danach wieder die Lehrer und danach, ach richtig, die Lehrer. Computerhilfsmittel fangen irgendwo bei 40 an. Nun kann man kritisch anmerken, dass eine Studie den Effekt von Tablets natürlich auch nicht messen kann, wenn diese im Unterricht nicht eingesetzt werden.
Politisch diskutiert werden müsste in diesem Zusammenhang doch eher, ob digitale Hilfsmittel überhaupt den Lernerfolg verbessern. Es gibt Studien, die das klar verneinen. Die Frage, ob sich das Tablet in Schülerhand nicht zu einer Wanze im Interesse der IT-Industrie entwickeln könnte, ist doch eine hochpolitische.
Die soziale Frage bei der „Digitalen Entwicklung“
Die SPD versteht sich traditionell als die Wächterin über den Zusammenhalt der Gesellschaft. In dieser Rolle ist sie bei den bevorstehenden technischen Veränderungen in besonderem Maße gefragt. Es wird allerorten das Hohelied der Digitalisierung als Befreiung von monotonen und belastenden Arbeiten gesungen. Als die Fließbandarbeit durch die Roboter abgeschafft wurde, waren wir auch alle erleichtert. Auch dass der Straßenfeger nicht mehr den Besen schwingen muss, sondern mit einem Gebläse das Laub wegpustet, wird allgemein als Fortschritt angesehen.
Diese Errungenschaften ersparen den Menschen viel Geld. Was dabei leicht vergessen wird ist, dass die Menschen in diesen so unwürdigen Beschäftigungsverhältnissen trotzdem eine Arbeit hatten, einen geregelten Tagesablauf, Geld zum Leben, Respekt und die Würde des arbeitenden Menschen.
Wenn Arbeit überflüssig wird
Was auch gerne vergessen wird ist, dass es in unserem Land viele Menschen gibt, die eine anspruchsvollere Arbeit gar nicht machen können. Wir haben die einfachen Jobs abgeschafft und gleichzeitig sind die theoretischen Anforderungen in den gewerblichen Ausbildungen so hoch geworden, dass z. B. ein Hauptschulabgänger in Nordrhein-Westfalen kaum noch Fleischer werden kann.
Sollten tatsächlich 60 Prozent aller aktuellen Arbeitsplätze verloren gehen, wären auch Ärzte und Rechtsanwälte betroffen, Menschen, die auf Kosten des Staates gut ausgebildet wurden. Die Frage muss also lauten: Wie soll unsere Arbeitswelt, vor allem aber unsere Gesellschaft unter dem Primat der neuen digitalen Technologien aussehen?
Maschinensteuer und Grundeinkommen als Lösung?
Vor etwa vierzig Jahren machte die SPD den Vorschlag einer Maschinensteuer, der ein einfacher Gedanke zugrunde lag. Wenn ein Unternehmer fünf Arbeitnehmer durch eine Maschine ersetzt, spart er viel Geld. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge mehr, Arbeitnehmer müssen eventuell sogar vom Staat unterstützt werden. Da liegt es nahe, vom zusätzlichen Gewinn des Unternehmers einen Teil einzubehalten, die Maschinensteuer.
Eine ganz ähnliche Situation werden wir in der digitalisierten Arbeitswelt auch haben. Da reicht es nicht aus, das Wort von der Kritik am digitalen Kapitalismus im Mund zu führen. Da muss man über ein Steuersystem nachdenken, das Gewinne abschöpft ohne die Wirtschaft abzuwürgen, da kommt der Gedanke des bedingungslosen Grundeinkommens ins Spiel.
Die Frage, wie die Wirtschaft Glasfaserkabel verlegt, die kann man getrost der FDP überlassen: aber welche Partei könnte wohl besser herausarbeiten, wie die Gesellschaft im Zeichen der digitalen Entwicklungen aussehen sollte, als die SPD.