Meinung

Die SPD muss wieder mehr Klimaschutz wagen

Die wichtigsten klimapolitischen Errungenschaften in Deutschland gehen auf die SPD zurück. Daran versucht sie mit einem neuen Impulspapier anzuknüpfen. Das ist gut. Es müsste allerdings mutiger sein.
von Felix Wagner · 26. August 2019

Am letzten Juni-Wochenende mobilisierte die IG Metall mehr als 50.000 Beschäftigte zu ihrer #FairWandel-Demonstration vor dem Brandenburger Tor, um von der Politik – gerade der SPD – stimmige Zukunftspläne einzufordern: Auf was für eine Gesellschaft wollen wir hinarbeiten, wenn wir die Energiewende schnell realisieren? Wie leben und arbeiten wir, wenn wir die digitale Transformation so gestalten, dass alle profitieren und niemand auf der Strecke bleibt? Es ist kein Zufall, dass es sowohl bei den Gewerkschaften wie auch bei den jungen Menschen von „Fridays For Future“ eine Sehnsucht nach weitreichenden Zukunftsvisionen gibt.

Gute Ansätze, aber keine echten Antworten

Die SPD versucht diese in ihrem Impulspapier „für mehr Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und eine zukunftsfähige Wirtschaft“ zu entwickeln. Die Partei zeigt darin zum einen, warum sie weiterhin so dringend gebraucht wird – weil sie wie keine andere eine erfolgreiche Regierungsmaschinerie ist und die Stellschrauben richtig zu drehen weiß. Zum anderen beschränkt sie sich allerdings nur auf wenige Sätze, wenn es darum geht, wie sie sich die Vision einer sozialen, ökologischen und demokratischen Gesellschaft konkret vorstellt. Dieses Defizit ist besonders vor dem Hintergrund der stolzen Tradition der SPD als Partei der sozial-ökologischen Transformation schmerzhaft – aber auch in der aktuellen Situation zu kurz gesprungen, herrscht doch inzwischen ein neuer Zeitgeist, der Schluss machen möchte mit dem Merkel‘schen Durchwursteln in der Politik.

Für die großen Fragen liefert die SPD in ihrem Klima-Papier nur Instrumente, aber keine echten Antworten. Ja, sie denkt absolut aus der richtigen Perspektive der vielen Menschen, die sich bei der Arbeit und im Leben anstrengen müssen; die nach einem guten Leben streben – aber dabei die Stellenabbaupläne, die Entwertung ihrer Tätigkeiten und die immer weiter fortschreitende Arbeitsverdichtung fürchten. Deshalb ist es richtig, dass die SPD die IG-Metall-Idee eines Transformations(kurzarbeiter)geldes aufgreift, die Bedeutung von Tarifverträgen in Öko-Branchen und die Stärkung von Wertschöpfungsketten einfordert u.v.m.

Die SPD darf nicht die großen Linien ihrer Klimapolitik aus den Augen verlieren

Was die Umsetzbarkeit angeht, ist das SPD-Papier sehr präzise und denkt alle Ebenen des Regierens von der Europäischen Union bis zum Stadtrat mit. Das Papier liest sich, als würde sich die SPD-Regierungsmaschine schon fast warmlaufen für die Umsetzung ihrer Klimaschutz-Forderungen im Klein-Klein verschiedener wichtiger Gesetze und der genauen Rahmensetzung z.B. des Klimaschutzgesetzes. Doch neben diesem professionellen Regierungsmodus läuft die SPD Gefahr, die großen Linien ihrer eigenen Klimapolitik noch weiter aus den Augen zu verlieren.

Denn so überraschend es für viele heute klingen mag: Als die Energiewende ab 1998 eingeleitet wurde, waren die meisten profilierten Umweltpolitiker im Bundestag in der SPD zu finden (und in keiner anderen Partei), wie Michael Müller (einer von ihnen) in einem aktuellen Interview treffend herausstellt. Nur mit sozialdemokratischer Expertise – vor allem der weltweit anerkannte „Solarpapst“ Hermann Scheer stach heraus – war das Erneuerbare Energien-Gesetz möglich.

In den Jahren vor dem rot-grünen Projekt war es von großer Bedeutung, dass Hermann Scheer und Ernst-Ulrich von Weizsäcker (ein weltweit führender Klimaforscher und Sozialdemokrat!) die Fakten, aber genauso die Visionen für eine klimafreundliche und sozial-gerechte (Welt-)Gesellschaft lieferten (schon 1989 erschienen Scheers Sammelband „Solarzeitalter“ und Weizäckers Buch „Erdpolitik“). Wichtig war zudem Monika Griefahn, die 1990 als ehemalige Greenpeace-Geschäftsführerin SPD-Umweltministerin in Niedersachen wurde. Gemeinsam brachten sie die SPD auf Kurs. Der Titel des SPD-Bundestagswahlprogramms lautete 1990: „Der neue Weg. Ökologisch, sozial, wirtschaftlich stark.“

Stiefmütterlicher Umgang mit der Energiewende

Dass davon heute niemand mehr redet, ist ein zentrales Versäumnis der SPD-Führung. Denn die Sozialdemokratie war es, die in einem quasi dialektischen, geschichtlichen Lernprozess sozialen und ökologischen Fortschritt zusammenbrachte, also die sozial-ökologische Transformation erfand (wie ich in einem längeren Blogartikel rekonstruiert habe). Trotzdem ging die Parteiführung – schon zu Zeiten der Energiewende – stiefmütterlich mit ihren sozialökologischen Führungsfiguren um. Die SPD-Spitze brachte es in der Folge sogar fertig, die eigene ideologische Urheberschaft an der Energiewende vollkommen in Vergessenheit geraten zu lassen. Hermann Scheer ist tot – schon seit fast zehn Jahren.

Einen der wenigen Lichtblicke bildete das Konzept ökologischer Industriepolitik, das Matthias Machnig im Umweltministerium 2008/2009 voranbrachte. Der Begriff kommt in dem aktuellen SPD-Klimapapier nur einmal beiläufig vor. Auch ansonsten lässt das fachlich fundierte Papier die eigene politische Vision einer schnellen, gerechten und ökologischen Transformation links liegen – in ihrer stolzen Geschichte; den politischen Erfolgen, Grundsatz- und Wahlprogrammen der Vergangenheit.

Die SPD muss wieder echte Antworten geben

Gerade jetzt, wo der Zeitgeist der Merkel’schen Ära bricht, der Klimawandel und gesellschaftliche Umbrüche wieder die politische Agenda bestimmen, muss die SPD auf die großen Fragen unserer Zeit wieder echte Antworten geben. Das Gute: Es ist alles dafür da! Die SPD kann professionell regieren – auch inhaltlich konzeptionell. Hier macht ihr niemand etwas vor. Aber jetzt muss sich die Partei ein Herz fassen, sich wieder selbst erkennen: Das Grundgerüst für eine stimmige sozial-ökologische Zukunftsvision ist tief in ihre politische DNA geschrieben – auch hier macht ihr niemand etwas vor!

Daraus sollte die SPD endlich wieder die Kraft ziehen, eine gute Zukunft stimmig auszumalen und durchzuplanen, statt nur den politischen Werkzeugkasten zu befüllen. Mit ihrer sozial-ökologische Transformation kann die SPD viel gewinnen, auch neue Mehrheiten. Wenn die Sozialdemokratie weiter im professionellen GroKo-Klein-Klein verharrt, droht sie am Zeitgeist zu scheitern – und an sich selbst. Denn: Sozialdemokratie gibt es nicht ohne konkrete Vision einer guten Zukunft: sozial, ökologisch, demokratisch!

Autor*in
Felix Wagner
Felix Wagner

arbeitet als Gewerkschaftssekretär und ist Soziologe. Ehrenamtlich engagiert er sich in der SPD vor Ort. In Bielefeld bringt er sich in die Arbeits- und Ausbildungspolitik der Partei und Ratsfraktion ein.

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