Die SPD muss mehr Entwicklungspolitik wagen
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In Zeiten, in denen der Ruf nach Aufrüstung wieder lauter wird, lohnt es sich, sich die Worte des Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: „Wo Hunger herrscht, kann Friede nicht Bestand haben. Wer den Krieg ächten will, muss auch die Massenarmut bannen.“ Willy Brandt ist heute aktueller denn je. Wie kaum ein anderer hat er das Bild der SPD als Partei der internationalen Solidarität geprägt. In seinem häufig zitierten Nord-Süd-Bericht forderte Brandt mehr Geld für Entwicklung und weniger für Rüstung. Mit der gleichen Forderung setzte die SPD die Union im Wahlkampf 2017 unter Zugzwang: Für jeden Rüstungs-Euro sollten 1,50 Euro in Entwicklungshilfe investiert werden.
Immenser Bedarf für die Entwicklungszusammenarbeit
Der Wahlkampf ist nun vorbei und die SPD stellt den Finanzminister. Im Koalitionsvertrag schlug sich die Wahlkampfforderung zumindest darin nieder, dass die zu erwartenden Steuermehreinnahmen vor allem in Verteidigung und Entwicklung investiert werden sollten – im Verhältnis von 1:1. Beste Voraussetzungen, sollte man denken. Schaut man sich die mittelfristige Finanzplanung aus dem Finanzministerium allerdings genauer an, fällt auf, dass von 1:1 keine Rede mehr sein kann, sondern 2:1 für Verteidigung geplant ist.
Deutschland hat sich bereits 1970 – richtig: unter der Kanzlerschaft Willy Brandts – dazu verpflichtet, 0,7 Prozent der deutschen Wirtschaftskraft für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Diese sogenannte ODA-Quote ist der Inbegriff internationaler Solidarität: Jeder Staat gibt einen kleinen Anteil entsprechend seiner derzeitigen ökonomischen Möglichkeiten. Seit 1970 wurde dieses Ziel wiederholt bekräftigt und auch im aktuellen Koalitionsvortrag verankert. Es zu erreichen ist nach wie vor aktuell, aber nicht um der Zahl willen, sondern weil der zu finanzierende Bedarf immens ist. Es gilt, die UN-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen und extreme Armut zu beenden, die Auswirkungen des Klimawandels vor allem in ärmeren Staaten abzumildern und humanitäre Hilfe für die steigende Zahl von Vertriebenen zu leisten.
Die Erfolge sind unverkennbar
Die bisherigen Erfolge sind nicht von der Hand zu weisen: Der weltweite Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, ist seit 1990 von 35 auf unter 11 Prozent gesunken. 72 Entwicklungsländer haben es im gleichen Zeitraum geschafft, den Anteil der Hunger leidenden Menschen zu halbieren. 2013 konnten alleine in Subsahara-Afrika 65 Millionen mehr Kinder eine Grundschule besuchen als noch 1999. Zum ersten Mal in unserer Geschichte gibt es mehr Menschen, die Zugang zu lebensrettenden Aids-Medikamenten haben als Menschen, die sich mit HIV anstecken. Seit 2000 sank die Zahl der Malaria-Todesfälle um 37 Prozent. Und wir stehen unmittelbar davor, Polio komplett auszulöschen.
Das Ziel, extreme Armut zu beenden, klingt für manche vielleicht völlig utopisch, aber das ist es nicht. Es ist allerdings nur möglich, wenn auch die wirtschaftlich stärkeren Staaten ihre Versprechen einhalten. Sie müssen sich darauf besinnen, vor allem in Gesundheit, Bildung und soziale Sicherung zu investieren und dort, wo sich die extreme Armut ballt. Doch in der derzeitigen Finanzplanung nähert sich Deutschland dem 0,7.Prozent-Ziel nicht einmal an. Im Gegenteil, wir entfernen uns sogar davon – und zwar deutlich. Nachdem das 0,7-Prozent-Ziel 2016 zum ersten und einzigen Mal erreicht wurde, befindet sich die ODA-Quote im freien Fall. Waren wir 2017 noch bei 0,66 Prozent, erreichen wir dieses Jahr nur noch rund 0,58 Prozent. Tendenz sinkend.
Dabei stellt zurzeit die SPD den Finanzminister. Und das Geld ist da. Was jetzt benötigt wird, ist politischer Wille. Die SPD hat es selbst in der Hand und muss sich wieder auf ihre Wurzel als Friedenspartei besinnen, denn wie Willy Brandt schon richtig erkannte: „Entwicklungspolitik von heute ist die Friedenspolitik von morgen“.