Meinung

Die Rolex von Sawsan Chebli ist nicht das Problem. Empört euch gegen die Banken!

Das ganze Wochenende schien es auf Twitter nur ein Thema zu geben: ein vier Jahre altes Foto der SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli mit einer Rolex am Armgelenk. Die Empörung über den eigentlichen Skandal blieb aus: CumEx oder wie dem deutschen Gemeinwesen mehr als 30 Milliarden Euro an Steuergeldern geraubt wurden.
von Jonas Jordan · 22. Oktober 2018
Sawsan Chebli
Sawsan Chebli

Sawsan Chebli hat das Recht, sich eine Rolex zu kaufen. Und sie darf sie auch öffentlich tragen. Ja, es ist ein Zeichen von Wohlstand, aber es ist nicht unredlich für eine Sozialdemokratin. Dennoch schien es am Wochenende so, als gäbe es in den sozialen Medien kein drängenderes Thema als das Accessoire der SPD-Staatssekretärin.

Eine Uhr als Zeichen des sozialen Aufstiegs

Chebli wurde angefeindet und persönlich diffamiert, von rechts und links. Die SPD-Politikerin wies in einem Tweet zurecht darauf hin: „Wer von euch Hatern hat mit zwölf Geschwistern in zwei Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen und gegessen, am Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war?“ Die Rolex als Zeichen des Wohlstands, aber auch des sozialen Aufstiegs. Der hat Tradition in der SPD.

Schon August Bebel, der „Arbeiterkaiser“, bis heute eine der großen sozialdemokratischen Ikonen, soll im Laufe seines Lebens eine große Anzahl goldener Taschenuhren mit seinem eingravierten Namen verschenkt haben. Ein Mythos besagt gar, dass eine dieser Uhren seit Willy Brandt von jedem SPD-Vorsitzenden zum nächsten weitergegeben werde.

Mehr Kapitalismuskritik wagen

Das ist zwar Quatsch. Die besagte Uhr liegt in einem Tresor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Doch diese Anekdote zeigt, dass eine Uhr eben auch nicht mehr ist als ein Schmuckstück, das die Zeit anzeigt. Die Zeit gebietet es, um bei Willy Brandt zu bleiben, mal wieder mehr Kapitalismuskritik zu wagen.

Denn die große Empörung bleibt in diesen Tagen aus. Der Skandal ist nicht die Uhr von Sawsan Chebli, sondern CumEx. Ein schwerfälliger Begriff, hinter dem sich betrügerische Geschäfte verbergen. Steuerpiraterie, wie es der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans nennt. Mehr als 55 Milliarden Euro sollen sich Aktienhändler auf diese Art erschlichen haben, davon mehr als 30 Milliarden Euro in Deutschland.

Geld, das für Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser gedacht war. Geld, mit dem man hätte Straßen sanieren und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen können. Geld, mit dem man die digitale Infrastruktur hätte verbessern können. Also empört euch nicht über eine 6.000 Euro teure Uhr einer Staatssekretärin, die sie sich dank ihres sozialen Aufstiegs leisten kann. Empört euch gegen die Banken und Aktienspekulanten, die unserem Gemeinwesen Milliarden an Steuergeldern rauben!

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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