Die Doppelmoral ist bei den Grünen Programm
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Früher war die Sache bei den Grünen ganz einfach. In der Ökopartei gab es zwei Flügel – Fundis und Realos. Beide waren oft unterschiedlicher Meinung und stritten sich, gern auch in aller Öffentlichkeit. Am Ende setzte sich mal der eine, mal der andere Flügel durch und ein Parteitag legte die Linie der Partei fest. Diese Zeiten sind vorbei.
Die Grünen sind gegen die A49 – oder doch nicht?
Zwei sich widersprechende Meinungen gibt es bei den Grünen in vielen Punkten noch immer, doch heutzutage kriegt es die Partei fertig, beide selbstbewusst nach außen zu vertreten. Jüngstes Beispiel: der Bau der A49 in Hessen. Als dort am Wochenende eine Baustelle besetzt wurde, um den Danneröder Forst vor der Abholzung zu bewahren, forderte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, die Bundesregierung solle den Bau der Autobahn „jetzt stoppen, damit die wertvollen Bäume stehen bleiben können“. Die A49 sei „verkehrspolitisch, umweltpolitisch und klimapolitisch falsch“.
Was Baerbock verschwieg: 2014 hatten ihre Parteifreunde in Hessen, die dort sehr harmonisch mit der CDU regieren, einen Dringlichkeitsantrag eingebracht, der die Finanzierung des Autobahnbaus sicherstellen sollte. „Der Landtag ist sich der regionalen und überregionalen Bedeutung der A49 bewusst und hält an einem Weiterbau unter der Voraussetzung, dass die finanziellen Möglichkeiten gegeben sind, fest“, heißt es in dem Antrag, der mit den Stimmen der schwarz-grünen Regierungsmehrheit beschlossen wurde.
Die Grünen sind gegen Abschiebungen – oder doch nicht?
Diese Doppelmoral ist bei den Grünen Programm. Ein weiteres Beispiel: Während die Bundespartei lautstark eine Rassismus-Studie innerhalb der Polizei fordert, lehnt Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann diese ab – und stellt sich damit einmal mehr hinter seinen CDU-Innenminister Thomas Strobl. Der habe schon genug getan, um den Extremismus bei der Polizei zu untersuchen, teilte Kretschmann mit. Die Grünen in Hessen, wo als erstes ein rassistisches Netzwerk bei der Polizei bekannt geworden war, verschwanden komplett in der Versenkung.
Aber zurück zu Kretschmann: Während die Bundesgrünen mit Eil-Appellen zur Aufnahme von Flüchtlingen aufrufen, ist Baden-Württemberg das Bundesland, das nach den unionsgeführten Ländern Nordrhein-Westfalen und Bayern im vergangenen Jahr am meisten Menschen abgeschoben hat. Auf Platz vier folgt Hessen – wie erwähnt schwarz-grün regiert. Und als im Januar die SPD-Fraktion im Stuttgarter Landtag eine Initiative startete, mit der die Abschiebung gut integrierter Geflüchteter in Vollzeitarbeit erschwert werden sollte, stimmten die Grünen dagegen – gemeinsam, mit CDU und AfD.
Wenn gar nichts mehr hilft, waren die anderen schuld
Bemerkenswert auch die Erklärung, die die Grünen im Ländle im Anschluss abgaben: „Dass wir Anfang des Jahres über eine Ermessensausübung des Landes diskutieren mussten, ist nur deshalb notwendig geworden, weil die Große Koalition im Bund aus SPD und CDU es versäumte, eine Bleiberechtsregelung zu schaffen, die den Menschen und den Unternehmen hilft. Die von der GroKo eingeführte Beschäftigungsduldung ist derart restriktiv, dass kaum jemand deren Bedingungen erfüllt.“
Die Argumentation „Wir würden ja gern, aber ihr lasst uns nicht“ ist bei den heutigen Grünen Methode. In der Opposition Dinge zu fordern, die sie in Regierungsverantwortung nicht umsetzen, auch. Sie schieben dabei geschickt den schwarzen Peter von der Landes- auf die Bundesebene und wieder zurück. Wenn gar nichts mehr hilft, waren die anderen schuld. Allerdings fällt diese Doppelzüngigkeit immer mehr Menschen auf. „Dass die CDU Hessen von Ferrero gekauft ist, ist ja schon seit über 10 Jahren bekannt. Aber wie viel bekommen eigentlich die Grünen aus Hessen?“, fragten Fridays for Future vor dem Hintergrund der Danneröder-Proteste am Wochenende süffisant auf Twitter. Gut möglich also, dass sich die Grünen noch nach alten Fundi-Realo-Zeiten zurücksehnen werden.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.