Meinung

Deutsch-französische Beziehungen: Warum es in der Achse knirscht

Achse, Motor, Tandem: Oft sollen Begriffe aus der Mechanik das deutsch-französische Verhältnis beschreiben und dessen besondere Bedeutung für Europa unterstreichen. Zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrag knirscht es jedoch vernehmlich.
von Kay Walter · 1. Dezember 2022
Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis? Viel Arbeit für Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Emmanuel Macron.
Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis? Viel Arbeit für Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Emmanuel Macron.

Nimmt man allein die letzte Novemberwoche als Maßstab, alles wäre in bester Ordnung. Die diplomatischen Termine zwischen Berlin und Paris grenzten an Raserei. Bilanz einer Woche: Drei Bundesminister*innen auf Visite bei ihren jeweiligen Amtskolleg*innen in Paris und zudem beim Präsidenten – Baerbock, Habeck und Lindner – und die französische Premierministerin Elisabeth Borne zum Gegenbesuch beim Kanzler in Berlin. Mehr geht kaum.

Reparaturversuche am gereizten Verhältnis

Und doch: Die Treffen suggerieren eine wechselseitige Abstimmung und ein gegenseitiges Vertrauen, das es so zurzeit eben nicht gibt. Vielmehr sind sie Beleg von Reparaturversuchen am gereizten Verhältnis, das in den „Spannungen“ des Oktobers seinen Höhepunkt gefunden hat. Die Absage des deutsch-französischen Ministerrates, offiziell wegen mangelnder Abstimmung bei diversen Themen und wegen Terminproblemen deutscher Minister*innen, war nur die Spitze des Eisbergs inhaltlicher Differenzen, die von der Militär- über die Wirtschafts- bis zur Energiepolitik reichen. Es hakt und knirscht auf so ziemlich sämtlichen Ebenen.

Und die Differenzen sind (noch) nicht beigelegt. Ein Beispiel: Die damalige Verteidigungsministerin Lambrecht hat am 18. November erklärt, man habe Konsens erreicht beim gemeinsamen Prestigeprojekt, dem FCAS-System, das bemannte und unbemannte Kampfflugzeuge miteinander verkoppeln soll. Nun werde es bei diesem französisch-deutsch-spanischem Gemeinschaftsprojekt mit modernster Militärtechnologie endlich vorangehen. Eine gute Nachricht, möchte man meinen. Allein, die Probleme sind nicht gelöst und in Frankreich wird die Sicht der Ministerin nicht geteilt. Man verweist vielmehr darauf, dass der französische Flugzeugbauer Dassault seine Zustimmung noch nicht gegeben hat und dass die Ankündigung des „Durchbruchs“ ohne Rücksprache mit Paris erfolgt sei.

„Berlin war schneller als die Musik“

Letzteres kann man für eine Petitesse und eine Stilfrage halten. Aber die sind (in Frankreich) wichtig. Erst recht, nachdem auch schon der Ministerrat einseitig durch Deutschland abgesagt worden war. Wichtiger ist, dass die Einigung ohne Dassaults Unterschrift schlicht wertlos ist. Der französische Journalist und Europaexperte Jean Quatremer von der linksliberalen „Libération“ kommentiert das noch zurückhaltend: „Das Problem ist, dass Berlin schneller war als die Musik: Ein solcher Durchbruch hätte zumindest Gegenstand einer gemeinsamen Erklärung auf höchster Ebene sein müssen.“

Weniger deutschlandfreundliche Zeitgenoss*innen urteilen schärfer: „Wenn Deutschland sein Modell nicht ändert, dann wird man sie dazu zwingen müssen“, betitelt „Le Monde“ einen Meinungsartikel von Chloé Ridel. Die 31-jährige Vizedirektorin des Think Tanks „Institut Rousseau“ kommentierte Anfang November mit diesen Worten Deutschlands Wirtschafts- und Energiepolitik, speziell was die Frage eines europäischen Gaspreisdeckels angeht. Sie fuhr fort, der deutsche Egoismus, eigene Interessen durchzusetzen, sei zwar nicht größer als der anderer EU-Nationen, aber ob der wirtschaftlichen Kraft ungleich schädlicher. Im Endeffekt verhalte sich Deutschland wie ein „europäischer Hegemon“, und wohin das führe, sähe man ja gerade bei der fatalen Abhängigkeit von russischem Gas.

Lange Liste an Differenzen

Bislang war diese Diktion ultrarechten Deutschlandhasser*innen um Marine Le Pen vorbehalten. Nun kommt es aus einem mit höchsten akademischen Ehren ausgestatteten Think Tank, es ist Mainstream. Es „übersieht“ – wie das Gros der Gesellschaft – geflissentlich, dass die französische Abhängigkeit von russischem Atommaterial um ein Vielfaches größer ist als die deutsche vom Gas und dass auch die technische wie organisatorische Verflechtung des französischen Atomkonzerns Framatome mit der russischen Atombehörde Rosatom erheblich stärker ist. Vor allem werden deutsche ökonomische Interessen zur nationalen Frage erklärt, während gleichzeitig französische mit europäischer Verantwortung assoziiert werden.

Die Liste an Differenzen wie an spaltenden Intellektuellen ließe sich fortsetzen. Man darf so etwas denken, Journalist*innen dürfen das auch schreiben, aber verantwortliche Politiker*innen sind gut beraten, klüger zu agieren. Das ist ihre Verantwortung. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, die derzeitigen Irritationen und Spannungen zu beseitigen. Dabei ist unwichtig, wer wann angefangen hat, wer welche Schuld trägt, sogar wer in dieser oder jener Einzelfrage Recht hat. Viel wichtiger ist ein durchgängiger Gesprächsfaden zu jedweder Frage, die permanente Diskussion über alle Themen. Und der fehlte in jüngster Zeit spürbar.

Gemeinsame Position gegenüber den USA wichtig

Insofern ist es gut und wichtig, wenn Emmanuel Macron zu Joe Biden nach Washington mit einer zwischen Berlin und Paris abgestimmten Position fährt. Es ist gemeinsames europäisches Interesse, einen drohenden Handelskrieg mit den USA abzuwenden und europäischen Firmen den Zugang zum US-Markt, gerade auch was Grüne Technologie angeht, zu erhalten. Deutschland, Frankreich und die anderen EU-Staaten würden je einzeln schlicht weniger erreichen können.

Genau deshalb hatten Deutschland und Frankreich im Aachener Vertrag regelmäßige Regierungsgespräche fest miteinander vereinbart, mindestens einmal pro Jahr. 2022 hat das Treffen nicht stattgefunden, nachdem es bereits 2020 wegen Corona ausfallen musste und 2021 lediglich als Videokonferenz abgehalten wurde. Ganz zurückhaltend formuliert dient das nicht dem Entwickeln von gemeinsamen Haltungen, sondern fördert Missverständnisse.

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