Demos gegen Corona-Regeln: Keine Macht den Verschwörungen
Stuttgart am Wochenende: Ein paar tausend Menschen demonstrieren gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Menschen, die für die Freiheit auf die Straße gehen, gegen die Einschränkung der Grundrechte. „Von vielen normalen Menschen“, spricht eine Reporterin für den ZDF-Länderspiegel am Samstag. In demselben Beitrag kommen aber auch Menschen zu Wort, die gegen einen „Impfzwang“ mobilisieren, auf Plakaten die Polizei davor warnen, sich zu Bütteln von Milliardären machen zu lassen. Eine Demonstrantin sagt, sie habe „Angst, ihre Meinung zu sagen“.
Von Rechtsradikalen bis Verschwörungstheoretiker*innen
Es ist nur eine Momentaufnahme. In vielen großen Städten wurde am Wochenende gegen die Corona-Regeln demonstriert. Versammlungen, die vielerorts genehmigt waren, selbst unangemeldete Treffen wurden von der Polizei nicht aufgelöst, selbst wenn dabei die geltenden Abstandsregeln missachtet wurden.
So wichtig ich Demonstrationen in demokratischen Gesellschaften finde: Diese Versammlungen machen mir Angst. Denn unter den Teilnehmer*innen fanden sich eben nicht nur „viele normale Menschen“, wie die Reporterin anmerkt, die Versammlungen scheinen zugleich ein Sammelbecken für allerlei Rechtspopulist*innen zu sein. Transparente in Stuttgart und anderen Städten sind Hinweise darauf, welch seltsame „Vielfalt“ sich da tummelt, namhafte Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker*innen hatten in Sozialen Medien mobilisiert.
Über Regeln und Verbote diskutieren
Der eigentliche Anlass der Demonstration ist dabei noch vollkommen richtig: Ja, die Grundrechte wurden im Verlauf der Corona-Pandemie massiv eingeschränkt. Nicht nur in Deutschland, fast überall auf der Welt haben Regierungen die Wirtschaft runtergefahren, Versammlungsrechte beschnitten, Freiheiten eingeschränkt. Dagegen aufzustehen, laut zu werden, ist grundsätzlich legitim. Auch die Demonstrationen in Deutschland sind ein Zeichen dafür, dass es Menschen eben nicht unberührt lässt, wenn sie sich nicht mehr frei bewegen dürfen. Wenn in einer Demokratie Privatpersonen begründen müssen, warum sie das Haus verlassen, wann, wo und wie sie sich mit Freunden oder Fremden treffen, sind das ohne Zweifel massive Eingriffe.
Allerdings: Eingriffe in Grundrechte sind in Deutschland erlaubt und von der Verfassung gedeckt. Sie bedürfen aber einer Begründung und der Verhältnismäßigkeit. Das gilt auch für Krisenzeiten: Über Regeln, Verbote und zuletzt die Lockerungen kann, nein, muss diskutiert werden. Auf der Straße, im Gerichtssaal, im Parlament. Denn Demokratien funktionieren nur so. Die Argumente der Regierung für die Einschränkungen müssen überzeugend sein, damit sie von einer breiten Mehrheit als richtig empfunden und auch angewandt werden.
Bei einer Demonstration geht es aber nicht mehr nur um das eigene Empfinden. Wer gemeinsam mit anderen auf die Straße geht, zeigt sich als Gruppe, die gemeinsam gegen etwas aufbegehrt. Das gilt für die sogenannten „Hygiene-Demos“ heute genauso wie für Demonstrationen in der Flüchtlings-Debatte 2015. Rechtsradikale, die sich damals als „besorgte Bürger“ bezeichneten, sind auch in der Corona-Krise nicht weit.
Keine gemeinsame Sache mit Rechtspopulisten
Ebenso scheint es nur ein schmaler Grat zu sein zwischen denjenigen, die die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Frage stellen und denjenigen, die trotz hunderttausenden Toten weltweit die Pandemie als größten Schwindel der Menschheitsgeschichte entlarvt haben wollen. Das eine ist eine Meinung, über die diskutiert werden kann. Das andere ist brandgefährlicher Schwachsinn, der mit Vernunft und Realität nicht mehr viel gemein hat.
Sollten deswegen jedwede „Hygiene-Demos“ künftig verboten werden? Nein. Auch die Demonstrationen von Pegida wurden nicht verboten, selbst wenn es dort menschenverachtende und gewaltverherrlichende Reden gab. Auch die Missachtung der Abstandsregeln sind kein Grund, Versammlungen grundsätzlich zu verbieten.
Aber jede*r einzelne sollte für sich überlegen, ob Versammlungen, zu denen einschlägig bekannte Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker*innen aufrufen, die richtige Veranstaltung sind, um für Freiheit, Gerechtigkeit und Grundrechte zu demonstrieren. Das gilt auch für jede*n Demonstrant*in vor Ort: Jeder hat das Recht in Deutschland, sich zu versammeln und für politische Forderungen auf die Straße zu gehen. Aber jede*r kann auch für sich entscheiden, eine Demonstration zu verlassen, wenn sie einem „zu bunt“ wird.